Meinung

Kritik an Judenhass ist keine „Antisemitismuskeule“

Die Diskussion um den diesjährigen Weltgebetstag der Frauen aus Palästina verschärft sich. Dabei kommen auch antisemitismusverharmlosende Bewertungen des 7. Oktobers zu Wort. Ein Gastkommentar von Maria Coors.
Von PRO
Demonstranten bei einer Veranstaltung gegen Antisemitismus in Berlin. Forscher haben herausgefunden: Judenfeindlichkeit im Netz hat zugenommen.

Der sogenannte Nahostkonflikt bedeutet für Christen schon lange eine Spannung der Solidaritäten und des Mitfühlens mit Israelis und dem einzigen jüdischen Staat und den christlichen (wie nicht-christlichen) palästinensischen Geschwistern. Die Diskussionen um den diesjährigen Weltgebetstag der Frauen am 1. März zeigen das einmal mehr. Dabei verliefen die Auseinandersetzungen um Liturgie und Begleitmaterialien in Deutschland bislang positioniert und engagiert, aber an vielen Stellen konstruktiv und im Bemühen, die Differenzen auszuhalten.

Den Weltgebetstag unmittelbar vor der Tür hat sich der Ton jedoch verschärft. Dabei geht es, mal wieder, um Antisemitismus. Gerade vor dem Hintergrund des in den letzten Jahren sowohl gesellschaftlich wie auch kirchlich gewachsenen Bewusstseins für aktuelle Erscheinungsformen der Judenfeindschaft, sind dabei vor allem solche Positionen besorgniserregend, die Antisemitismus verharmlosen oder seine Existenz gleich gänzlich in Abrede stellen.

So gelingt es einigen Stimmen, wie zuletzt Katja Buck und Jens Nieper in einem „Zeitzeichen“-Artikel, in Frage zu stellen, ob beim Hamas-Terror des 7. Oktobers überhaupt von Antisemitismus als „maßgeblicher Triebfeder“ zu sprechen sei. Buck und Nieper führen ihr Argument, das auf die Identifizierung der altbekannten „Antisemitismuskeule“ hinausläuft, auf verschiedenen Ebenen.

Zunächst sei fraglich, ob sich der 7. Oktober als Pogrom bezeichnen lasse. Ein solches, so die Autoren, definiere sich als „ein Massaker an einer schwachen Minderheit ausgehend von einer Mehrheitsbevölkerung innerhalb eines gemeinsam besiedelten Territoriums“ und treffe außerdem ausschließlich die Vertreter eben dieser Minderheit. Allein der historische Blick illustriert die Absurdität dieser Argumentation. So waren etwa in der Stadt Kischinjow, die 1903 eines der schlimmsten Pogrome Russlands erlebte, fast 50 Prozent und damit die Mehrheit der Einwohner Juden.

Hier sowie bei den deutschen Novemberpogromen 1938 wurden neben Juden auch Menschen, die mit Juden familiären, freundschaftlichen oder wirtschaftlichen Kontakt pflegten, zu Opfern. Den 7. Oktober deshalb nicht als Pogrom zu bezeichnen, weil er auf dem Staatsgebiet Israels stattfand, dessen Existenz sich auch der zionistischen Antwort auf eben jene antisemitischen Ausschreitungen im Russischen Zarenreich verdankt, ist an Zynismus kaum zu übertreffen.

Judenhass war Triebfeder des 7. Oktobers

Buck und Nieper unterstreichen weiter den Unterschied zwischen der Ideologie der Hamas und der palästinensischen Bevölkerung Gazas. So wichtig und richtig diese Differenzierung ist und so schrecklich das Dilemma, das sich auf politisch-strategischer Ebene für die Frage einer angemessenen Antwort Israels auf das Pogrom ergibt, so abwegig bleibt die These, dass der Judenhass der Hamas und anderer Organisationen des politischen Islams nicht die ideologische Triebfeder für den 7. Oktobers gewesen sei.

Es bedarf keines lückenlosen und zweifelsfreien Nachweises der inneren antisemitischen Verfasstheit jedes einzelnen palästinensischen Terroristen, Plünderers, Vergewaltigers und Claqueurs. Deshalb läuft auch der Versuch, die deutschen Diskursteilnehmer, die nach Buck und Nieper Land und Leute Palästinas nicht ausreichend aus der persönlichen Nähe kennen, zu diskreditieren, ins Leere.

Zur Analyse von Formen und Funktionen des Judenhasses bedarf es keiner freundschaftlichen Nähe zum Untersuchungsgegenstand. Wie sonst sollten Historiker heute noch antisemitische Ideologien und Ereignisse der Vergangenheit erforschen? Man fragt sich ohnehin, warum die Autoren meinen, über die persönlichen Beziehungen und Erfahrungen anderer Bescheid zu wissen. Gerade der sog. jüdische-christliche Dialog speist sich an vielen Stellen aus vertrauensvollen Begegnungen vor Ort.

Für Juden schreien

Antisemitismusverharmlosende Argumentationen wie diese schaden in zweierlei Hinsicht. Sie machen es Christen, die sich ihrer Verantwortung für Israel bewusst sind, schwer den diesjährigen Weltgebetstag mitzufeiern. Das ist umso dramatischer, als gerade das Gebet mit und für unsere palästinensischen Geschwister angesichts der katastrophalen Situation in Gaza, doch eine der wichtigsten und stärksten christlichen Antworten ist.

Der Schaden einer Haltung, die Antisemitismuskritik als „Antisemitismuskeule“ verunglimpft und selbst bestialische Verbrechen an tausenden jüdischen Menschen von Tätern, die seit Jahrzehnten den Judenhass als Kern ihrer Überzeugung proklamieren, nicht zweifelsfrei als antisemitisch verstanden wissen will, geht jedoch noch über den 1. März dieses Jahres hinaus. Mit Dietrich Bonhoeffer gesprochen, verfehlen wir zentrale Aufgaben der Kirche, wenn wir nicht für Juden schreien.

Die Autorin leitet das Projekt „Weißt du, wer ich bin?“, das sich für ein friedliches Miteinander der Religionen einsetzt. Es gehört zu „Ökumenischen Centrale“ Frankfurt am Main.

Von: Maria Coors

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