Krieg treibt Ukrainerinnen in Prostitution

Seit Beginn des Krieges landen vermehrt Ukrainerinnen in der Prostitution. Auch wenn es wenige verlässliche Zahlen gibt, die Erfahrungen von Hilfswerken in Rotlichtmilieus sprechen für sich.
Von Swanhild Brenneke

„In Folge des Krieges werden zehnmal mehr Ukrainerinnen für sexuelle Dienstleistungen angeboten als zuvor“, sagte Valiant Richey vor Kurzem im Interview mit Spiegel Online. Richey ist Sonderbeauftragter der OSZE zur Bekämpfung von Menschenhandel. Er bezog sich dabei auf Erkenntnisse einer niederländischen Firma, die Sex-Websites analysiert, habe das herausgefunden.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges hätten vermehrt Menschen im Netz Suchbegriffe wie „Ukrainische Escorts“ oder „Ukrainischer Flüchtlings-Porno“ eingegeben. Zehntausende hätten nach diesen und ähnlichen Inhalten gesucht, sagte Richey.

Menschenhändler reagierten gezielt auf solche Nachfragen. Auf einer irischen Website hätten die Betreiber zum Beispiel signalisiert, dass Menschen mit solchen Anfragen nach Ukrainerinnen bei ihnen richtig seien, so Richey. Die OSZE habe außerdem Chats bei Telegram oder Viber überwacht. Ukrainerinnen suchten dort nach Unterkünften und erhielten vermehrt verdächtige Angebote.

Die entsprechenden Frauen zu finden und den Prozess zu stoppen, sei jedoch schwierig, so Richey. Denn oft seien es organisierte kriminelle Netzwerke, die mit den Ukrainerinnen handelten und verdeckt agierten.

Berlin: Zahlen mehr als verfünffacht

Dass es schwer ist, offizielle Zahlen und Statistiken zu dem Thema zu finden, hat auch PRO bei seiner Recherche festgestellt. Lediglich Berlin konnte einige Fakten liefern – zumindest zu offiziell angemeldeten Ukrainerinnen, die in der Prostitution tätig sind. 139 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit seien Stand Januar 2023 bei Probea Berlin gemeldet, so das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Probea ist die Prostituiertenberatung und -anmeldung Berlin, die Anmeldebescheinigungen ausstellt, wie sie vom Prostituiertenschutzgesetz vorgesehen sind.

Anfang Februar 2022 waren dort lediglich 24 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit gemeldet worden, so das Bezirksamt. Für 2021 könne keine Angabe gemacht werden, da die entsprechenden Datensätze drei Monate nach Ablauf der Gültigkeit laut Gesetz gelöscht werden müssen.

Getarnte Hilfsangebote

Dass die Nachfrage nach Ukrainerinnen in der Prostitution seit Beginn des Krieges gestiegen ist, bestätigen gegenüber PRO verschiedene Hilfswerke, die in dem Bereich tätig sind. Die Organisation Solwodi beobachtete nicht nur mehr Anfragen im Netz: „Wir haben gehört, dass an den Ankunftsbahnhöfen versucht wurde, ankommende Geflüchtete mitzunehmen“, sagte Sabine Meinen gegenüber PRO. Die Versuche seien jedoch zum Glück nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

Trotz der gestiegenen Nachfrage konnten die Mitarbeiter von Solwodi noch keine geflüchteten Ukrainerinnen in den Bordellen oder auf dem Straßenstrich antreffen – zumindest in den Städten, wo der Verein aktiv ist. Ein Grund dafür könne eine gute Aufklärungsarbeit sein, so Meinen.

„Unter anderem haben Solwodi und andere Organisationen mehrsprachige Flyer entwickelt, um die Frauen vor diesen Gefahren zu warnen. Diese Flyer wurden schon in den Zügen nach Deutschland verteilt.“ Ebenso seien die Behörden auf Drängen von Hilfsorganisationen an den Ankunftsbahnhöfen sehr wachsam gewesen.

Auch schnelle staatliche Hilfen und die oft gute Ausbildung der Frauen habe dazu beigetragen, dass viele nicht auf falsche Versprechungen hereingefallen seien.

Solwodi sieht die Gefahr für die Ausbeutung geflüchteter Frauen eher im privaten Bereich. „Unter den vielen hilfsbereiten und freigiebigen Menschen in Deutschland, die Unterstützung und Unterkunft angeboten haben, befinden sich leider auch einige schwarze Schafe.“ In Beratungsgesprächen hätten Frauen davon berichtet, keine Arbeitsstelle annehmen zu können, weil sie für eine kostenlose private Unterkunft den Haushalt zu erledigen oder Pflege von alten Angehörigen zu leisten hätten. „Das ist Arbeitsausbeutung“, so Solwodi.

Mehr Ukrainerinnen im Berliner Rotlichtmilieu

Die erhöhte Nachfrage nach Prostituierten aus der Ukraine im Netz bestätigt auch die Organisation „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ (GGMH). In Freierforen in Deutschland habe man schon im März 2022 Aussagen lesen können wie „Könnte gut werden. Endlich neues Frischfleisch.“ oder „Hab mich am HBF umgesehen, wer da ankommt. Teils richtig scharfe Frauen. Da können wir uns freuen, wenn sich bald einige was dazuverdienen möchten“, erklärt der Vorstandsvorsitzende von GGMH Frank Heinrich.

Im Gegensatz zu Solwodi berichtet der Verein, schon vermehrt Ukrainerinnen im Rotlichtmilieu angetroffen zu haben. „Seit Mai 2022, also schon bald nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, sind wir in der aufsuchenden Arbeit in Bordellen zunehmend auf Ukrainerinnen gestoßen“, sagt Gerhard Schönborn vom Verein Neustart in Berlin, der GGMH angehört. Die Frauen sprächen oft kein Wort Deutsch.

Trotz des Verdachts auf Menschenhandel bei solchen Begegnungen sei es für die Mitarbeiter vor Ort schwierig, einzuschreiten. Opfer von Menschenhandel müssten zunächst eine Aussage machen, doch in den meisten Fällen halte die Angst vor den Tätern sie davon ab.

GGMH bestätigt ebenfalls die Erfahrungen von Solwodi, dass Privatpersonen an den Ankunftsbahnhöfen versucht hätten, Ukrainerinnen abzufangen – unter dem Vorwand, Hilfe anzubieten.

GGMH fordert, mehr Informationen auf Ukrainisch bereitzustellen, einen einfachen Zugang zu Aufenthalt, Dienstleistungen und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Außerdem sei eine vollständige Registrierung aller Geflüchteten notwendig. Auch Helfer und Anbieter von Unterkünften sollten sich registrieren müssen, um Missbrauch vorzubeugen.

Schlimmere Lage in den Grenzregionen

Die aktuelle Politik der Legalisierung der Prostitution sei nicht geeignet, um Menschenhandel effektiv zu bekämpfen, erklärt GGMH. Der Verein setzt sich deshalb für das Nordische Modell ein, das nicht die Prostituierten kriminalisiert, sondern die Sexkäufer und andere Profiteure. Das würde die Nachfrage nach Prostitution allgemein und damit auch nach Betroffenen von Menschenhandel deutlich senken.

Der österreichische Verein Herzwerk erklärt gegenüber PRO, in Wien begegne man vereinzelt Frauen aus der Ukraine im Rotlichtmilieu. Deutlich mehr seien es in den Grenzgebieten Richtung Tschechien und Slowakei.

Ukrainerinnen hätten in Österreich häufig schnelle und möglichst unbürokratische Hilfen bekommen, die sie vor Schlimmerem bewahrt hätten. Herzwerk fordert solche Hilfen für alle Menschen, die in der Prostitution Ausbeutung und Gewalt erleben – egal aus welchem Land sie kommen.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen