„Krieg ist Versagen von Politik“

EKD-Militärbischof Sigurd Rink widmet sich in seinem neuen Buch der Frage, ob Kriege gerecht sein können. In Berlin stellte er das Buch vor und warb um mehr Verständnis für die Arbeit der Bundeswehr.
Von PRO
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und EKD-Militärbischof Sigurd Rink bei der Buchvorstellung in Berlin

Vor kurzem erschien das Buch von EKD-Militärbischof Sigurd Rink „Können Kriege gerecht sein? Glaube, Zweifel, Gewissen – wie ich als Militärbischof nach Antworten suche“. Bei der Buchvorstellung in Berlin erinnerte Zeit-Redakteurin Evelyn Finger an den Völkermord an den Jesiden durch den IS im Sommer 2014 im Nordirak. Als zunächst die Christen vertrieben, dann die Jesiden zu Tausenden ermordet und Frauen und Kinder versklavt wurden, hätten weder die Vereinten Nationen noch die Nato, ebenso wenig die Regierungen in Bagdad und Washington rechtzeitig auf den Genozid reagiert. Und damit sei die Debatte schon mitten in der „großen, alten, ewig aktuellen Frage, ob Kriege gerecht sein können“.

Das Buch von Rink leiste einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Streitkräfte in Deutschland, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die das Werk vorstellte. Es beeindrucke unter verschiedenen Aspekten; zunächst als Biografie eines Theologen, der sich von einem friedensbewegten Radikalpazifisten zum Militärbischof gewandelt habe. Seine Lebensgeschichte spiegele auf faszinierende Weise die Geschichte der Bundesrepublik wider: Von den friedensbewegten späten siebziger und frühen achtziger Jahren, über die Wiedervereinigung bis zur heutigen Verantwortung Deutschlands in der Weltgemeinschaft. Besonders bewegt habe sie das Ringen um moralisch-politische Positionen, beispielsweise angesichts des Völkermords in Ruanda, der Rinks pazifistische Gewissheiten ins Wanken gebracht habe. „Die Frage, wann der Einsatz militärischer Gewalt gerechtfertigt ist, ist ja der Kern unserer Debatte über Sicherheit und Verteidigungspolitik“, sagte die Ministerin. Der zweite Teil des Buches widme sich der geistesgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der Friedensethik. Die Frage nach dem „gerechtfertigten Krieg“ habe schon Augustinus, Thomas von Aquin, Martin Luther und Emmanuel Kant umgetrieben. Gesinnungsethik und Verantwortungsethik seien bei Rink aber keine unversöhnlichen Gegensätze mehr.

Kritik am Amt des Militärbischofs

„Christinnen und Christen erkennt man nicht nur an hehren Überzeugungen“, zitierte von der Leyen Militärbischof Rink, „sondern an der Bereitschaft, im Dienst am Nächsten diese Welt in kleinen Schritten zu verändern.“ Genau das sieht die Verteidigungsministerin in der Bundeswehr verwirklicht: Kleine Schritte hin zu einer friedlicheren Ordnung, das sei der Beitrag der Bundeswehr zu Stabilität und Entwicklung in der Welt.

Das Verhältnis der Deutschen zu Streitkräften und Bundeswehr sei aufgrund der historischen Erfahrung insgesamt sehr schwierig – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wo es selbstverständlicher sei, von einem „gerechten Krieg“ zu sprechen, sagte Militärbischof Rink anschließend. Er berichtete von heftiger Kritik an seinem Amt, als er 2014 als erster hauptamtlicher Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) offiziell eingeführt wurde. Sowohl die eigene Familie als auch EKD-Mitglieder hätten die Position kritisiert und an die jahrhundertelange unselige Verbindung von Thron und Altar erinnert. Vielerorts gingen die Auseinandersetzungen bis heute quer durch den Kirchenvorstand, wenn Rink eine Gemeinde besuche. Die innerkirchliche Kritik werde von einer breiten Mehrheit der Deutschen geteilt, rund 70 Prozent der Bundesbürger würden Auslandeinsätze der Bundeswehr ablehnen, sagte Moderatorin Finger. Sie gab aber zu bedenken, dass diese Zahl möglicherweise auf einer veralteten Erhebung beruhe.

Die Hälfte des Jahres besuche er Truppen-Standorte und spreche mit der jeweiligen Militärseelsorge vor Ort, sagte Rink. Er betrachte sich als Vermittler der Anliegen von Soldatinnen und Soldaten, die einen schweren Job machten unter Einsatz ihres Lebens; meist bei Auslandseinsätzen in Ländern, in denen es kein klares und durchsetzungsfähiges Gewaltmonopol des Staates gebe. Die Soldatinnen und Soldaten riskierten ihr Leben, bekämen aber nicht die Anerkennung, die sie verdienten.

„Rache und Vergeltung sind kein guter Ratgeber“

Die Lehre vom „gerechten Krieg“ sei in der Geschichte zu häufig fehlinterpretiert worden, ergänzte der Militärbischof. Es gehe nicht darum, Kriege zu rechtfertigen, sondern es gehe um die Limitierung von Gewalt. Das sei schon aus der Bibel überliefert. Kriterien wie Verhältnismäßigkeit der Mittel, Erfolgsaussichten und die rechte Intention hätten bis heute Bestand. Auch Martin Luther habe die Schutzverantwortung gegenüber der eigenen Familie, der eigenen Nachbarschaft, dem eigenen Ort und dem eigenen Land betont. Für den Reformator sei nur der Verteidigungskrieg legitim gewesen. „Wenn dich dein Landesherr in einen Angriffskrieg schickt, dann musst du Gott mehr gehorchen als den Menschen“, zitierte Rink die lutherische Maxime. Er erinnerte daran, dass die Vereinten Nationen 2005, nach dem Völkermord in Ruanda, den Begriff der Schutzverantwortung in ihre Handlungsoptionen aufgenommen hätten. Das bedeute, die Völkergemeinschaft habe die Verantwortung und Verpflichtung, bei schwersten Menschenrechtsverletzungen oder Völkermord mit der sogenannten „rechtserhaltenden Gewalt“ einzugreifen.

Diese Friedensethik sei in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland sehr stark „unterbelichtet“, sagte Rink. Die geringe Beachtung und Verachtung dessen stehe im Widerspruch zur Relevanz des Themas. Auf die Frage, ob es in jüngster Zeit auch nicht-gerechte Kriege gegeben habe, gestand Rink ein, dass er den Einsatz in Afghanistan sehr kritisch sehe. Der Einsatz sei zu Beginn motiviert von Rache und Vergeltung und eine Antwort auf den Terror-Angriff vom 11. September 2001 gewesen. „Doch Rache und Vergeltung waren noch nie gute Ratgeber“, sagte Rink. Nach 18 Jahren in Afghanistan sei die Gewalt dort völlig entgrenzt, jährlich würden allein auf Seiten der afghanischen Armee 10.000 Soldaten sterben. Wenn er auch in vielen Punkten mit Margot Käßmann nicht übereinstimme mit ihrer 2010 getroffenen Behauptung „nichts ist gut in Afghanistan“ habe sie leider Recht behalten, was die Lage dort betreffe. Doch Käßmanns Forderung, Deutschland solle, dem Vorbild Costa Ricas folgend, überhaupt keine Streitkräfte unterhalten, halte er für illusorisch. „Krieg ist Versagen von Politik“, sagte Rink. Die Streitkräfte müssten immer dann in die Bresche springen, wenn die Politik gescheitert sei. Und wenn andere Staaten ihren Beitrag leisteten, könne Deutschland als Teil der Völkergemeinschaft sich nicht entziehen.

Von: Marie Wildermann

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