Kommentar

Krieg in Nahost: Ich will hoffen

Israel und Gaza, das bedeutet für viele Menschen Krieg und Konflikt, Tod und Vernichtung, Täter und Opfer. Für mich bedeutet es auch Schmerz – und Hoffnung. Von Persis Jalilzadeh
Von PRO
Sonnenuntergang am Meer

Es ist Freitagabend. Ich öffne „Word“ mit der Absicht, einen Text zu schreiben. Das Programm fordert mich auf: „Beschreiben, was Sie schreiben möchten.“ Ich tippe: „Ich möchte beschreiben, was ich in mir höre, wenn ich an das Stück Erde östlich des Mittelmeers, westlich des Jordans denke.“ Word arbeitet circa zehn Sekunden und dann ist da eine Seite Text von Erinnerungen an warmes Licht und Knistern von Olivenblättern, von Hoffnung, Schmerz und dem leisen Wunsch nach Ruhe. Ich wusste nicht, dass „Word“ so poetisch ist. Danke, KI! Jetzt zu dem, was ich in mir höre.

Ich heiße Persis Jalilzadeh, bin 27 Jahre alt und studiere am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. Daneben arbeite ich als Assistentin im Studierendensekretariat der Barenboim-Said-Akademie. Das ist eine Musikhochschule, die aus der Freundschaft zwischen dem jüdischen Dirigenten und Pianisten Daniel Barenboim und dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said und ihrem gemeinsamen Engagement für Begegnung und Zusammenarbeit zwischen Musikerinnen und Musikern, vordergründig aus dem Nahen Osten und Nordafrika, hervorgegangen ist. Als belgische und iranische Staatsbürgerin wurde ich in Deutschland geboren, mit mir unbekannten muslimischen Familienangehörigen im Iran und allen möglichen mir bekannten Familienangehörigen und Familienfreunden in verschiedenen Ländern dieser Welt, unter anderem in Israel. Ich bin Christin, vor zehn Jahren in einer Freikirche getauft.

Durch den christlichen Glauben, die Freunde in Israel, die ich schon so oft besucht habe, und Freunde in Deutschland ist mir das Judentum ein wenig vertraut. Wie jeden Freitag habe ich auch in dieser Woche den Gruß „Shabbat Shalom“ gehört und ausgesprochen. 

Wenn ich an das Stück Erde östlich des Mittelmeers, westlich des Jordans denke, höre ich nicht nur jüdische Tradition. Ich höre ganz laut „from the river to the sea“ und höre die palästinensischen Geschichten von den aufbewahrten Schlüsseln zu Häusern, die um das Jahr 1948 herum, in der Hoffnung, einmal zurückzukehren, verlassen wurden. Ich muss an meine schlesische Großmutter denken, die um das Jahr 1945 ihre Heimat verlassen hat und nach Belgien gegangen ist. Dann denke ich, ihre Geschichte hat hier nichts zu suchen, und schiebe den Gedanken weg. Ich denke wieder an das Stück Erde, östlich des Mittelmeers, westlich des Jordans, das für so viele Menschen Heimat bedeutet.

Dieses Stück Erde ist eigentlich ganz ruhig. Ich erinnere mich, dass ich ein bisschen Wind gehört habe, als ich im März an dem Wachposten stand, wo am 7. Oktober 2023 junge Mädels gekidnappt wurden, und rüber nach Gaza schaute, wo fast alles zerbombt ist. Aber Menschen sind selten ruhig, wenn sie an das Land denken. Meine Freundin in Portugal und ihr Papa reden sich beim Abendessen in Rage. Meine Freunde Khaled und Vika in Berlin schreien sich an. Die Rektorin der Hochschule, an der ich arbeite, schreibt offene Briefe und einer der Professoren gibt Radiointerviews. Andere kleben Sticker. Und ich, ich schreibe diesen Text.

Ich erinnere mich an kaltes Licht am Flughafen Tel Aviv, an dem ich bei der Einreise nach Israel regelmäßig Stunden verbringe. Nicht wegen meines mittlerweile Deutsch-Seins, das ich durch Beantragung und ein paar Hundert Euro erworben habe, sondern wegen meines Nachnamens. Ich erinnere mich an das heiße Licht auf den Ruinen in Masada, wo vor vielen hundert Jahren Selbstverteidigung in Selbstmord endete. Ich erinnere mich an das warme Licht auf meiner Haut, als ich mit einem Freund in Ashdod am Strand das Spiel spiele, das ich auf Persisch „Takhteh“ nenne und er auf Hebräisch „Shesh Besh“ und das in Deutschland unter dem englischen Namen „Backgammon“ bekannt ist. 

Persis Jalilzadeh Foto: Persis Jalilzadeh

Zur Autorin

Persis Jalilzadeh, 27, studiert am am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Das Bild zeigt sie bei einem Besuch in Israel.

Olivenblätter habe ich nie knistern hören, aber die Matze, die er zerbröselst, um Matzebrei zu machen. Und die Anspannung in der Luft, als am Grenzübergang auf dem Weg nach Ramallah Menschen in Uniform mit Maschinengewehren in den Reisebus steigen, um stichprobenartig ein paar Pässe von anderen Menschen, ohne Uniform und ohne Gewehre, zu kontrollieren und ich hoffe, dass sie nicht meinen sehen wollen.

Ich erinnere mich an Schmerz, als wir dieses Jahr an Purim anstatt zu feiern auf der Tanzfläche des „Nova Festival“ standen und auf Plakaten in die Augen ermordeter Menschen blickten. Hunderte Plakate mit Bildern junger lächelnder Menschen. Ich erinnere mich an Schmerz, als ich letztes Jahr auf einer Veranstaltung zum Weltgebetstag die Geschichte von Eleonor vorgelesen habe, die von der Kirche erzählt, die ihr Urgroßvater in Jerusalem erbaute und die es heute nicht mehr gibt. Ich erinnere mich an Schmerz und Hoffnung. 

Ja, auch Hoffnung ist da. Wenn der sechsjährige Aaron in Berlin mir erzählt, dass er Hebräisch und Arabisch lernen will, noch bevor er Englisch lernt. Wenn ich zur Arbeit komme, um Excel-Listen zu bearbeiten und E-Mails zu verschicken, damit Menschen aus allen möglichen Ländern hier studieren können. Ja, ich kann hoffen. Manchmal will ich laut hoffen und lese irgendwo in Berlin den Slogan „Bombing for peace is like fucking for virginity“ und will ihn jedem Menschen sagen, der von Aufrüstung redet. Manchmal will ich leise hoffen, wie der Prophet Daniel, dessen Lebensgeschichte ich aus der hebräischen Bibel kenne. Als er von Plänen hörte, die die Existenz seines Volkes bedrohten, ging er nach Hause und betete. 

Vor allem aber will ich mit anderen hoffen. Mit anderen Menschen und mit Gott. Dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Dem Sohn Gottes, der in der römischen Region Galiläa lebte. Dem Geist Gottes, der uns mit Frieden erfüllt.

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