Konfliktgefahr: Moslem darf nicht in Schule beten

Ein 18-jähriger muslimischer Schüler aus Berlin darf an seiner Schule nicht demonstrativ gen Mekka beten. Mit seinem Grundsatzurteil beendete das Leipziger Bundesverwaltungsgericht (BVG) am heutigen Mittwoch einen Jahre lang schwelenden Streit darüber, ob aus der gesetzlich verankerten Glaubensfreiheit ein Anspruch auf das islamische Ritualgebet während des Schulbesuchs folgt.


Von PRO

Der Schüler müsse die Einschränkung seiner Glaubensfreiheit hinnehmen, weil sonst der Schulfrieden gestört werde, urteilte der 6. Senat des BVG. Die Richter betonten, es handele sich um eine Einzelfallentscheidung. Damit sei nicht ausgeschlossen, dass an anderen Schulen öffentlich gebetet werden dürfe. Der Vorsitzende Richter Werner Neumann sagte laut Nachrichtenagentur dpa: "Die Schule muss sehen, ob es wirklich zur Wahrung des Schulfriedens nötig ist, die Glaubensfreiheit einzuschränken." Der türkische Gymnasiast Yunus M. hatte gegen ein Berliner Gymnasium geklagt. Er wollte mit mehreren Mitschülern gen Mekka beten.



Direktorin Brigitte Burchardt hatte dem Jungen das Beten im November 2007 verboten, nachdem dieser sich mit sieben Freunden im Schulflur mittags nach Mekka verneigt hatte. Sie befürchtete, dass streng religiöse Schüler Druck auf die anderen ausüben könnten; an der Schule mit 90 Prozent Schülern nichtdeutscher Herkunft seien alle Weltreligionen vertreten. Wenn alle Schüler auf ihr Gebetsrecht pochten, "könnte ich die Schule schließen", sagte Burchardt laut dem Berliner "Tagesspiegel" damals.



Konflikt nur ein Einzelfall


In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Berlin Yunus M. im September 2009 Recht gegeben. Die Richter verwiesen auf das Verfassungsrecht der ungestörten Religionsausübung. In der Revision entschied als nächste Instanz das Oberverwaltungsgericht (OVG) im Mai 2010 gegenteilig, weil das Schulgebet den Schulfrieden stören und Schüler beeinflussen könne. Ein getrennter Raum als "flankierende Maßnahme" sei notwendig, wenn man denn Gebete ermöglichen wolle. Dies jedoch würde "die organisatorischen Möglichkeiten sprengen". Der Schüler hatte bis dahin einen umgewidmeten Computerraum nutzen dürfen, er soll ihn aber nur ein rundes Dutzend Male aufgesucht haben. Nach Auffassung der OVG-Richter seien Schulen keine religionsfreien Räume. Die Einschränkung sei allerdings gerechtfertigt, weil einer "durchaus konkreten Gefahr" für den Schulfrieden zu begegnen sei.



Beate Stoffers von der Berliner Bildungsverwaltung hatte am Montag gegenüber dem "Tagesspiegel" erklärt, dass der Konflikt als Einzelfall vor dem Hintergrund der besonderen Situation am Weddinger Diesterweg-Gymnasium zu betrachten sei. Die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Nurhan Soykan, sieht durch das Urteil die Religionsfreiheit eingeschränkt. Gegenüber der "Deutschen Welle" erklärte sie: "Das Beten ist ab der Pubertät Pflicht für jeden Muslim. Von daher fordern wir ein, dass Schüler, die beten wollen, auch einen Platz dafür haben." Dies müsse kein gesonderter Gebetsraum sein, das Gebet könne auch im Klassenraum während der Pause erfolgen, im Zimmer des Rektors oder in einer Sporthalle. "Es geht nur um die Einstellung der Schule", so Soykan. Gemeint ist die Bereitschaft der Schulleitung, praktizierende Muslime an Schulen als Normalität zu betrachten.



Konfliktlage würde sich verschärfen



Für den konkreten Fall des Klägers entschied das Bundesverwaltungsgericht nun, dass hier aufgrund der Verhältnisse an der von ihm besuchten Schule die Verrichtung des Gebets auf dem Schulflur eine bereits ohnehin bestehende Gefahr für den Schulfrieden erhöhen konnte. Dieser könne dann beeinträchtigt werden, wenn ein religiös motiviertes Verhalten eines Schülers religiöse Konflikte in der Schule hervorruft oder verschärft.



Die Schüler am Diesterweg-Gymnasium in Berlin-Wedding gehören fünf Weltreligionen in verschiedenen Glaubensrichtungen an: "Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts würde sich diese ohnehin bestehende Konfliktlage verschärfen, wenn die Ausübung religiöser Riten auf dem Schulgelände gestattet wäre und deutlich an Präsenz gewönne, während erzieherische Mittel allein nicht genügten, den zu erwartenden erheblichen Konflikten ausreichend zu begegnen und den Schulfrieden zu wahren", heißt es in der Pressemitteilung des BVG.

Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings nicht festgestellt, dass die Verrichtung eines Gebets in der Schule von der Schulverwaltung generell unterbunden werden kann. Die Leipziger Entscheidung wäre nach Angaben des Richters Werner Neumann nur dann endgültig, wenn sie im Sinne des Schülers ausgefallen wäre. Mit der Niederlage sei wegen der Berührung von Grundrechten eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. In Leipzig sei es jetzt "nur" darum gegangen, ob die Religionsfreiheit des jungen Mannes ausreichend gewürdigt wurde. (pro)

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