Komponist Siegfried Matthus: „Luthers Meinung zu Juden ist haarsträubend“

Der Komponist Siegfried Matthus lässt den Reformator Martin Luther in einer neuen Oper träumen. pro hat mit dem 81-jährigen Kunstschaffenden über Luther als Antisemiten, Mann mit Begierden und die „schönen Teufelinnen“ gesprochen, die er dem Geistlichen erscheinen lässt.
Von PRO
Die 81-jährige Komponist Siegfried Matthus hat den Luther-Stoff in eine neue dramaturgische Konstellation gepackt
Der Komponist und Dramaturg Siegfried Matthus hat eine neue Oper mit dem Titel „Luthers Träume. Eine szenisch-musikalische Vision“ komponiert. 2017 soll sie in der Dresdener Semperoper mit Christian Thielemann als Dirigenten uraufgeführt werden.

pro: Es gibt bereits Luther-Opern, etwa von Peter Aderhold oder Kari Tikka, ein Luther-Oratorium von Dieter Falk soll dieses Jahr zum Reformationstag uraufgeführt werden. Warum braucht das Reformationsjubiläum 2017 eine weitere Luther-Oper?

Siegfried Matthus: Ob das Reformationsjubiläum die Oper braucht, ist eine andere Frage. Ich glaube aber, dass Luther im Mittelpunkt dieses Jubiläums stehen wird. Da mich der Stoff in dieser neuen dramaturgischen Konstellation sehr interessiert hat, habe ich die Oper eben komponiert.

Was ist neu?

Ich habe die Oper als Luthers Träume komponiert, dadurch bin ich freier in der Szenenauswahl. Ich muss nicht die historischen Begebenheiten sozusagen „abkomponieren“, sondern ich habe die Möglichkeit, auszuwählen und mich auf die – auch musikalisch – interessanten Dinge in Luthers Leben zu konzentrieren. Ich hoffe, der Versuch, die gesamte Figur in ihrer Widersprüchlichkeit, vor allen Dingen auch in ihrer Weltbedeutung, zu treffen, ist mir gelungen.

Welche Errungenschaften Luthers empfinden Sie als in der Oper hervorhebenswert?

Luthers Auftreten gegen den Papst, der Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Sprache – etwas ganz Wichtiges –, und dass er mit seiner Heirat mit den strengen, katholischen Konstellationen gebrochen hat. Ein weiterer Punkt ist: In der Oper lasse ich Luther die Erkenntnis formulieren, dass die Juden, Christen und Muslime denselben Gott haben.

Dieser Aussage würden heute viele Christen widersprechen und sagen, dass Christen und Muslime nicht denselben Gott haben.

Darüber kann man sich streiten, und darüber streiten sich auch die Gelehrten. Die Texte im Libretto sind zum großen Teil Originalzitate von Luther selbst und von seinen Partnern wie Philipp Melanchthon oder Katharina von Bora sowie aus der Bibel. In der Oper lasse ich Luther sagen: „Juden, Christen und Muslime stammen her von einem Gott“. Ich habe mir die künstlerische Freiheit genommen, Luther von einer möglichen Verständigung von Juden, Christen und Muslimen träumen zu lassen, das in den Blick zu nehmen, was sie alle verbindet. Denn alle drei haben als gemeinsamen Grundansatz den Glauben an den einen Gott.

Streiten Sie auch zum Thema „Muslime und Christen haben denselben Gott“, oder halten Sie sich bei solchen Diskussionen zurück?

Wie soll ich mich da zurückhalten? Das ist eine Tatsache, die man einfach anerkennen muss. Ob sie einem gefällt oder nicht, ist eine andere Sache.

Wie stehen Sie zum christlichen Glauben?

Ich bin getauft, bin konfirmiert und habe etwa zur Eröffnung der Frauenkirche in Dresden ein Te Deum komponiert. Ich habe durchaus meine Beziehung zur christlichen Kirche, ich bin aber kein Kirchgänger.

Und wie stehen Sie persönlich zu Luther?

Ich erkenne ihn als eine große historische Weltfigur an. Vor allem sein Wirken auf die Entwicklung der deutschen Sprache ist ein historischer Akt. Aber als Mensch ist er sehr widersprüchlich und kompliziert gewesen. Er hat über viele unwichtige Dinge geredet und philosophiert, seine Meinungen sind manchmal haarsträubend, vor allem sein Angriff auf die Juden. Anfangs brachte er den Juden eine große Hochachtung entgegen. Dann ist er ausgeflippt in wahnsinnigen furchtbaren Sätzen, die ich ihn in der Oper geifern lasse, aber ich halte mich im Orchester völlig zurück. Alle Sänger treten dann aus ihrer Rolle heraus und sagen: „Halt ein!“ Sie sind dann nicht mehr die Bora und Thomas Müntzer, sondern einfach Sänger, Zeitgenossen, die sagen, Schluss, da machen wir nicht mit. Das schien mir eine mögliche Lösung zu sein.

Um Luther mit Partnern und Widersachern zusammentreten zu lassen, lassen Sie ihn träumen. Ihm begegnen etwa Melanchthon oder „schöne Teufelinnen“. Nach welchem Konzept haben Sie die Gegenspieler gewählt?

Da ich die Oper „Luthers Träume“ genannt habe, kann ich von mir aus bestimmen, was er geträumt hat. Da kann mir keiner widersprechen und sagen, so etwas hat er ja gar nicht geträumt. Ich behaupte, dass das so ist, und dass ihn die Teufelinnen sexuell belästigen. Anfangs wehrt er sich, und dann hat er doch seine Bora geheiratet. Das ist ein Entwicklungsprozess.

Wer sind die schönen Teufelinnen?

Das sind schöne Teufelinnen, vier schöne Sängerinnen, die keinen Namen haben. Die Anfangstexte, wenn sie ihn im Traum besuchen, habe ich aus dem Hohelied. Sie wollen Luther zu erotischen Handlungen verführen. In der gleichen Szene treten auch noch vier Teufel auf, die ihn an sein Gelübde mahnen, die ihn zurückbringen wollen. Das ist eine Dramaturgie, in der zwei verschiedene Seiten auf den armen Luther im Traum einwirken.

In der Oper zeigen Sie Luther auch als Mann mit Begierde. Warum ist das wichtig für Ihre Oper?

Das ist eine große Tat, dass er geheiratet hat. Das war katholischen Priestern, wie er auch einer war, verboten. Das ist etwas, was in der evangelischen Kirche weitergewirkt hat. Er war derjenige, der das zuerst durchgesetzt hat gegen allen Spott, den er erhalten hat. Selbst seine Freunde haben das nicht ganz verstanden. Er hat seine männliche Potenz nicht unterdrückt und sie für etwas Natürliches, von Gott Gewolltes, gehalten. Luther hat das, was die Katholische Kirche in diesem Falle sagt, für unmenschlich gehalten.

Sie zählen zu den bekanntesten Komponisten, die in der DDR gelebt haben. Hätten Sie zu DDR-Zeiten eine Luther-Oper komponiert?

Ja, warum nicht. Wir leben nicht mehr in der DDR. Ich bin auch kein DDR-Nostalgiker. Aber wenn ich mich richtig erinnere, hat man Luthers historische Taten in der DDR gewürdigt. Mir ist nicht bekannt, dass es etwas Gegenteiliges gegeben hat.

Sie setzen sich beim Bildungsministerium für ein Unterrichtsfach ein, das nationale kulturelle Traditionen behandeln soll. Aus welcher Intention heraus tun Sie das?

Um auf dem Gebiet der Musik zu bleiben: Es gibt eine Erhebung des Deutschen Musikrats, derzufolge an Grundschulen bis zu 80 Prozent des Musikunterrichts ausfällt. Das heißt, die Schüler lernen und wissen nicht, wer Bach, Beethoven oder Mozart sind, außer, dass sie den Namen vielleicht einmal gehört haben. Die Auswirkungen sind sehr schlimm. Junge Verantwortliche im Bundestag oder in den Stadtparlamenten, die entscheiden, ob Theater geschlossen oder Orchester verkleinert werden, haben keine Kenntnis von diesen Traditionen, die zur Weltkultur gehören. Wenn sich da nicht etwas ändert, werden wir zu einem kulturellen Entwicklungsland, wir Deutschen, die wir von der ganzen Welt wegen unser Tradition bewundert werden. Eine Lösung wäre ein Unterrichtsfach, in dem historische Fakten gelehrt werden, wie im Geschichts- und Deutschunterricht, nicht aber ein erweiterter Kunstunterricht. Das beschäftigt mich sehr, und ich habe große Angst, wenn sich da nichts ändert.

Wir haben über die Jugend gesprochen. Für welches Publikum eignet sich Ihre Luther-Oper?

Die Oper eignet sich für junges und altes Publikum. Die musikalische Sprache ist so, dass sie die Konflikte in einer verständlichen musikalischen Sprache mitgestaltet, so dass es sicher keine Probleme für junge Leute ab 14 Jahren geben wird, das Stück musikalisch zu verfolgen.

Vielen Dank für das Gespräch. (pro)

Die Fragen stellte Martina Schubert Nachtrag: In einer früheren Version des Interviews war folgende Antwort von Matthus zu lesen: „Die Texte im Libretto, in dem Luther sagt: ‚Juden, Christen und Muslime stammen her von einem Gott‘, habe nicht ich erfunden. Das sind alles Originalzitate von Luther selbst und von seinen Partnern wie Philipp Melanchthon oder Katharina von Bora sowie aus der Bibel.“ In einem weiteren Gespräch sagte uns der Komponist, er habe sich die künstlerische Freiheit genommen, Luther von einer möglichen Verständigung von Juden, Christen und Muslimen träumen und ihn sagen zu lassen: „Juden, Christen und Muslime stammen her von einem Gott.“ Dies ist jedoch kein Originalzitat von Luther.
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/musik/detailansicht/aktuell/wenn-ein-muslim-die-passionsspiele-inszeniert-92543/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/musik/detailansicht/aktuell/falk-macht-luther-leben-zum-musical-88692/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/musik/detailansicht/aktuell/die-kuenstlerin-93010/
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