Nicht an den Lockdown gewöhnen

Es ist zermürbend: Der Lockdown geht in die nächste Verlängerung. Die politische Entscheidung dafür ist zwar nachvollziehbar. An den Ausnahmezustand gewöhnen sollten sich aber weder Bürger noch Politiker. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von PRO
Wie viele andere Länder auch hat Deutschland in der Corona-Pandemie das öffentliche Leben mehrmals heruntergefahren

Die neuerliche Verlängerung des Lockdowns ist nicht überraschend. Das Anfang Januar ausgegebene Ziel von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen ist noch nicht erreicht, auch wenn der Trend in diese Richtung weist. Dennoch ist dieser Zustand zermürbend, das Land und seine Menschen ächzen unter den Einschränkungen – wirtschaftlich, seelisch, gesundheitlich. Die Frist für Öffnungen wird immer weiter nach hinten verschoben, seit in der Adventszeit die Schotten des öffentlichen Lebens dicht gemacht wurden: 10. Januar, Ende Januar, Mitte Februar, Ende des Monats und nun 7. März – beziehungsweise ein nicht näher bestimmtes Datum, ab dem die Inzidenz stabil bei weniger als 35 liegt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag die Gefahr der Virus-Mutanten, die Studien zufolge wohl ansteckender sind als die bisherige Variante. Das Virus halte sich nicht an Fristen und Daten, sondern breite sich eben aus. Man kann der Bundesregierung vorhalten, dass sie in ihrem Narrativ über die Pandemie die Zukunft lieber etwas schwärzer malt und in besseren Zeiten schon die nächste Bedrohung betont, die sich am Horizont zusammenbraut. In einem internen Strategiepapier vom vorigen März, das Bundesinnenminister Horst Seehofer bei verschiedenen Wissenschaftlern in Auftrag gegeben hatte, wird sogar genau das empfohlen: das schlimmste Szenario kommunizieren, um Akzeptanz für Gegenmaßnahmen zu schaffen. Von über einer Million Toten ist darin die Rede, sollte die Politik nicht handeln. Die Tageszeitung Die Welt deckte nun auf, dass das Ministerium gezielt auf die Forscher einwirkte, um das Szenario möglichst dramatisch darzustellen.

In die Diskussion um ein Ende des ersten Lockdowns mischten sich die Warnungen vor einer zweiten, möglicherweise noch schlimmeren Welle im Herbst. Als Angela Merkel Ende September vor 19.000 täglichen Neuinfektionen zu Weihnachten warnte, war der Aufschrei groß. Doch sie sollte Recht behalten: Die zweite Welle kam gewaltiger, schon vor Weihnachten verzeichnete das Robert-Koch-Institiut mehr als 20.000 Neuinfektionen pro Tag. Wenn nun vor einer dritten Welle und den Mutanten gewarnt wird, ist das nicht nur Schwarzmalerei. Die Argumentation der Bundes- und Länderregierungen, nicht zu früh zu lockern, um das Erreichte nicht zu gefährden, folgt einer nachvollziehbaren Logik.

Keine „neues Normal“

Merkel betonte, die erneute Verlängerung des Lockdowns sei verhältnismäßig. Es gebe kein milderes Mittel. Lieber jetzt noch etwas abwarten, als zu öffnen und bald wieder zu schließen. Im Sommer habe die Regierung zu zögerlich gehandelt und den zweiten Lockdown zu spät verhängt. Das mag stimmen. Vermittelbar, das muss man zugeben, wäre er zu einem früheren Zeitpunkt wahrscheinlich kaum gewesen. Aber die Frage bleibt: Gibt es wirklich keinen anderen Weg? Auch mit Impfung wird es das Virus weiterhin geben. Langfristig muss sich unsere Gesellschaft wohl darauf einstellen, mit dem Risiko von Covid-19 zu leben, so wie wir auch mit anderen Risiken leben. Wir können uns nicht immer einschließen, bis jegliche Bedrohung aus der Welt ist.

Es ist gefährlich, wenn sich Bürger als auch Politiker an die Methode Lockdown gewöhnen. Denn zum einen drohen wir lethargisch zu werden und „alternativlose“ Entscheidungen fraglos hinzunehmen. Oder eigene Verantwortung abzugeben und dem Staat alle Fürsorge zu überlassen. Zum anderen könnte den Regierenden dieses Mittel, einmal bewährt, auch bei anderen Krisen als probat erscheinen. Was, wenn unsere freiheitliche Gesellschaft einst von tödlicheren Krankheiten oder anderen Fährnissen heimgesucht wird? Gelegentlich ist bei den Einschränkungen der Grundrechte vom „neuen Normal“ die Rede. Aber das sollte es nicht: Sie sind eine Ausnahme!

Es gibt in der Corona-Krise keine eindeutigen Antworten. Alle Entscheidungen folgen einem mühsamen Abwägungsprozess zwischen verschiedenen Interessen und Eischätzungen – auch die für die Verlängerung des Lockdowns. Diese Unsicherheit, diese vielen Stimmen, die belastenden Beschränkungen können eine Anfechtung sein. Der Apostel Jakobus schreibt in seinem Brief, dass der Glaube in solchen Situationen Geduld wirkt. Und im selben Zusammenhang fährt er fort: „Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern und ohne Vorwurf gibt.“ (Jakobus 1,5). Geduld und Weisheit haben Politiker im Umgang mit der Pandemie ebenso nötig wie jeder einzelne Bürger auch. Beten wir darum.

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