Kann ich auch zuhause bleiben?

Sollten Kirchengemeinden ihre Türen öffnen oder schließen? Vielleicht ist das gar nicht die wichtigste Frage, denn: Auf jeden Einzelnen kommt es an. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Zu Weihnachten sind die Kirchen normalerweise voll. In diesem Jahr wird es schon aufgrund des Abstandsgebotes anders sein.

Öffnen oder nicht öffnen? Noch nie in der Pandemie war die Frage für Gemeinden schwerer zu beantworten als jetzt. Der „harte Lockdown“ gilt seit Mittwoch. Fast alles schließt. Nur die Kirchen dürfen ihre Türen weiter öffnen. Kurz nach der Entscheidung brach auf Twitter Frustration darüber aus. Von einer „Extrawurst“ für die Christen war da die Rede, Andere dürften doch schließlich ihrem „Hobby“ auch nicht nachgehen.

Der Grund dafür ist kein infektiologischer, sondern ein juristischer. Natürlich können sich auch in Gottesdiensten – oder auf dem Weg dorthin – Menschen anstecken. Dass strenge Hygieneauflagen gelten, ändert wenig daran. Aber: Das Recht auf freie Religionsausübung ist ein Grundrecht, für dessen Einschränkung es einer überzeugenden Begründung bedarf.

Und eingeschränkt werden Gottesdienste bereits: Abstand, Kontaktlisten, Maskenpflicht am Sitzplatz, Gesangsverbot. Trotzdem haben die politischen Entscheider den Kirchen große Freiheiten gelassen. Anders als im Frühjahr müssen Gemeindeleitungen und Kirchenvorstände kein Versammlungsverbot schlucken. Stattdessen müssen sie selbst eine harte Entscheidung treffen. Wenn sie sich für Präsenzgottesdienste entschieden, müssen sie ein gewisses Risiko in Kauf nehmen. Da die Zahlen so hoch wie nie sind, ist auch die Wahrscheinlichkeit so hoch wie nie, dass einer, zwei, zwanzig Infizierte unbemerkt auf der Kirchenbank sitzen.

Die Lage ist unübersichtlich

Entscheiden sie sich gegen Präsenzgottesdienste, würde gerade für einsamere Menschen womöglich der einzige menschliche Kontakt wegfallen. Und das mitten in der dunklen Jahreszeit, auf der Hochphase einer Pandemie. Eine schwierige Entscheidung.

Das zeigt sich auch an der Reaktion der Leitungsetage der Kirchen. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm äußerte Verständnis für digitale Gottesdienst-Alternativen, bat aber auch darum, an Präsenzgottesdiensten festzuhalten, bevor er am Donnerstag erneut für Online-Formate warb. Seine Vorvorgängerin Margot Käßmann sprach sich klar für Präsenzgottesdienste an Weihnachten aus: „Für viele Christen sind sie so wichtig wie der Gang zum Lebensmittelladen oder zur Apotheke, weil sie Trost und Ermutigung des Evangeliums genauso dringend brauchen wie Brot oder Medizin“, sagte sie. Die Landeskirchen überlassen es den Ortsgemeinden, ob sie Vor-Ort-Gottesdienste feiern sollen. Einzig die westfälische und die lippische Kirche empfahlen ihren Ortsgemeinden einen Verzicht darauf. Die Lage ist unübersichtlich.

Tatsächlich aber haben es die potenziellen Gottesdienstbesucher selbst in der Hand. Die meisten Menschen dürften es verkraften, keinen Präsenzgottesdienst zu besuchen und stattdessen wie im Frühjahr auf digitale Formate umzusteigen. Auch gemeinsames Beten am Telefon oder per Videochat ist möglich. Am Ende geht es vielleicht gar nicht darum, ob Kirchen ihre Türen öffnen sollten. Sondern wie jeder persönlich die Frage beantwortet: „Kann ich auch zuhause bleiben?“

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