Fleischhauer: „Erlösungshorizont der Kirche hat sich verschoben“

Jan Fleischhauer und Margot Käßmann haben am Mittwoch online über den Kirchentag, den Tod in Zeiten von Corona, Liturgie und Sprache in der evangelischen Kirche sowie gendergerechte Bibelübersetzungen geplaudert. Ein kurzweiliges Unterfangen, findet Norbert Schäfer in der Kritik zu der Veranstaltung.
Von Norbert Schäfer
Margot Käßmann und Jan Fleischhauer präsentierten sich online wortgewandt und schlagfertig

Etwa 800 Kilometer lagen am Mittwoch zwischen dem Focus-Kolumnisten Jan Fleischhauer und der Theologin Margot Käßmann. Bei der Online-Veranstaltung der Karl-Hermann-Flach-Stiftung plauderten der Journalist Fleischhauer von München aus und die ehemalige Landesbischöfin der hannoverschen Landeskirche und einstige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Käßmann, von der Ferieninsel Usedom aus über einen bunten Themenmix.

„Der Erlösungshorizont der Kirche hat sich verschoben“, konstatierte Fleischhauer. Heute sei das Programm des Kirchentages deckungsgleich mit dem der Grünen und spreche sich gegen Gloabalisierung und für die Energiewende aus. „Vergibt die Kirche keine Chance, wenn sie sich in Konkurrenz begibt mit Greenpeace?“, wollte der Kolumnist wissen. Jesus habe auch in seine Gesellschaft gesprochen, erwiderte Käßmann. „Die Kirche war auch politisch, als sie sich überhaupt nicht geäußert hat“, erklärte sie und verwies auf das Schweigen der Kirchen im Nationalsozialismus.

In dem spätnachmittäglichen Zoom-Meeting musste sich Käßmann aber zunächst der Frage von Fleischhauer stellen, warum sie die Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen angezweifelt und diese teils sogar als „unchristlich“ gebrandmarkt habe. Käßmann machte deutlich, dass bei den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus die Schwächsten in der Gesellschaft aus dem Blickfeld geraten seien.

Käßmann: „Isolation der Alten und Sterbenden war unchristlich“

Dass alte Menschen in vollkommener Isolation, ohne Beistand durch Angehörige oder einen Seelsorger während des Lockdowns den letzten Weg in ihrem Leben hätten antreten müssen, sei aus ihrer Sicht unchristlich. Die Isolation der Alten in den Senioren- und Pflegeheimen verurteilte die Theologin entschieden. Mit dem ihm eigenen Sarkasmus schilderte Fleischhauer die Tragik der sterbenden Menschen und ihrer Angehörigen. Er habe überlegt, die Beisetzung seines Vaters, der während des Lockdowns verstarb, in einen Baumarkt zu verlegen, weil sich dort mehr Menschen unter den herrschenden Vorschriften hätten versammeln dürfen als auf einem Friedhof.

Bei der täglichen Berichterstattung über Infizierte und Tote im Zusammenhang mit dem Coronavirus könne man leicht übersehen, dass in Deutschland jährlich rund 960.000 Menschen sterben, erklärte Fleischhauer. Ihm komme es vor, als wolle man den Tod aus Deutschland vertreiben. „Jeder Tote wurde quasi zum Skandal“, sagte der Journalist. „Der Tod wird verdrängt“, erklärte Käßmann. Allerdings seien durch Corona Menschen mit dem Thema konfrontiert worden, die bislang noch nie darüber nachgedacht hätten. „Die Regierung kann uns nicht vor dem Sterben schützen“, sagte sie. Die Begrenztheit des Lebens macht nach ihrer Ansicht das Leben erst kostbar. Käßmann verwies auf die Weisheit der Bibel zu dem Thema: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90).

„Betroffenheits-Jargon“ und „knall-linke“ Bischöfe

Fleischhauer bedauerte, dass in evangelischen Gottesdiensten die liturgischen Elemente immer mehr zurückgedrängt würden. Das Ambiente im Inneren evangelischer Kirchen bezeichnete der Journalist süffisant als „Ikea-Charme“, der „Angst vor der Verehrung Gottes“ erkennen lasse. Die Menschen hätten ein spirituelles Bedürfnis, kein Verlangen nach politischen Predigten und Erklärungen, kritisierte Fleischhauer.

Als der Journalist bekannte, dass er „im Herzen“ zum Katholizismus konvertiert sei, sich mehr katholische Liturgie wünschte und dann die katholische Bischofskonferenz im nächsten Atemzug als „knall-links“ bezeichnete, musste die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD herzhaft lachen. „Früher haben die Menschen die Messe nicht verstanden“, erklärte die Theologin als Erwiderung und würdigte die Verdienste Martin Luthers. Allerdings stellte Fleischhauer dann gleich fest, dass anstatt in der Sprache des Reformators zu predigen, die Pfarrer sich heute eines „Betroffenheits-Jargons“ bedienten.

Dass Luther ein Sprachgenie war, darauf konnten sich die Diskutanten einigen. Nicht so bei der „Bibel in gerechter Sprache“. Fleischhauer hält die für einem „Irrweg“. Dem wollte Käßmann „auf gar keinen Fall“ zustimmen. „Die ‚Bibel in gerechter Sprache‘ bezieht den sozialen Kontext mit ein“, erklärte die Theologin, die hier ihr Wissen über unterschiedliche Übersetzungen durchblitzen ließ. „Ich kann die biblischen Texte nicht lesen, ohne sie mit unserer Zeit in Verbindung zu setzen“, sagte die Theologin. Sie habe einst mit Peter Hahne darüber diskutiert, ob es im Weihnachtsbericht „Hirtinnen“ gegeben habe. Das sei heute belegt.

„Politische Predigten werden medial wahrgenommen, Seelsorge nicht“

Fleischhauer lag einmal komplett falsch, als er Käßmann zunächst für elf Jahre statt rund sechs Monate im Amt der EKD-Ratvorsitzenden wähnte. Richtig lag der Journalist aber vermutlich, als er die Theologin eine „polarisierende Figur“ nannte, die durch verschiedene Äußerungen für Debatten gesorgt habe. Dem widersprach Käßmann nicht. Sie habe bereits bei ihrer Wahl zur Landesbischöfin nicht dem gewünschten Bild entsprochen. Später hat die Bischöfin öfter freimütig ihre Meinung und Sicht auf Welt und Politik geäußert. Das tut die streitbare Kirchenfrau noch heute. Das macht sie für die einen sympatisch, für andere zum roten Tuch. Politische Predigten würden zitiert, verteidigte sich die Theologin, Seelsorge – wie etwa jetzt verstärkt während Corona – werde dagegen medial nicht wahrgenommen.

Etwa eine Stunde lieferten sich Fleischhauer und Käßmann einen geistreichen, fairen, unterhaltsamen und bisweilen erheiternden Schlagabtausch. Allerdings wurden dabei zu viele Themen angerissen, die einer tieferen Diskussion bedurft hätten. Schade auch, dass das Publikum keine Fragen in die Runde einbringen konnte. Der sarkastische, konservative Journalist und die charmant-geistreiche Theologin haben dem Publikum einen kurzweiligen, durchaus tiefsinnigen Nachmittags-Talk über das Internet präsentiert und bewiesen, dass neue, intressante Formate im Internet durchaus Unterhaltungswert haben.

Von: Norbert Schäfer

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