Thüringen im Demokratietest

Demokratie heißt kompromissfähig Verantwortung zu übernehmen. Je weiter die Meinungen auseinander liegen, desto schwieriger wird das. Vor allem, wenn einige Mitspieler partout nicht miteinander wollen – oder können. Gedanken zur Thüringer Landtagswahl von pro-Kolumnist Jürgen Mette.
Von PRO
Viele Jahre leitete der Theologe Jürgen Mette die Stiftung Marburger Medien. Sein Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“ schaffte es 2013 auf die Spiegel-Bestsellerliste. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Die Thüringer Wurstsuppe, die uns mit der Landtagswahl serviert wurde, schmeckt überhaupt nicht, aber sie muss ausgelöffelt werden. Regierungsbildung, Anbahnung von Bündnissen, die einfach nicht zusammenpassen, oder lieber gleich den Linken eine Minderheitsregierung aufbrummen? Aber da hilft kein Jammern und kein Klagen. Jetzt bewährt sich Demokratie.

Der Wähler hat seine Wahl getroffen, die Wählerinnen auch: Die Linke soll unser – aus hessischer Perspektive – sympathisches Nachbarland weiter führen. Obwohl sich deren Spitzenkandidat und noch regierender Ministerpräsident Bodo Ramelow immer zu seinem christlichen Glauben bekannt hat, wurde er von frommen Leuten politisch observiert, immer in der Hoffnung, dass ihm etwas Unchristliches unterlaufen würde. Heute stellen wir fest, dass Thüringen nicht zur Außenstelle Nordkoreas mutiert ist und Ramelow sich nicht als der Antichrist entpuppt hat.

Unnötiges Feindbild?

Das Wahlergebnis ist für die CDU und SPD desaströs. Es ist der AfD und der Linken gelungen, die beiden großen einstigen Volksparteien an den Rand zu jagen, ihnen das Mandat zu entziehen und sich für die neue Mitte zuständig zu erklären. Ich höre schon den absolut verständlichen Protest derer, die unter der SED-Diktatur furchtbar gelitten haben. Mir als Wessie verbietet es sich, Leuten wie Theo Lehmann und vielen anderen DDR-Geschädigten Ratschläge zu erteilen. Aber wenn sich der erste Schock gelegt hat, werden wir nüchtern feststellen: Selbst wenn die Hälfte der Linken-Wähler Thüringens noch der alten SED-Ideologie anhängen – dann hat die andere Hälfte einfach links gewählt, weil Ministerpräsident Ramelow solide arbeitet und großes Vertrauen genießt. Kann es vielleicht sein, dass die Thüringer mit ihrer Stimme die AfD deckeln wollten und der an Schwindsucht leidenden SPD und CDU nichts mehr zutrauen?

Der Eichsfelder Landrat Werner Henning (CDU) hat sich gegenüber der Zeitung Die Welt für Gespräche seiner Partei mit der Linken ausgesprochen. „Jetzt muss sich die CDU bewegen. Es geht um die Regierbarkeit Thüringens“, sagte Henning am Mittwoch. Das überwiegend katholisch geprägte Eichsfeld gilt als CDU-Bastion. Henning ist bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr mit 82,2 Prozent in seinem Amt bestätigt worden. Seiner Meinung nach habe die heutige Linke in Thüringen nichts mehr mit der SED der Vergangenheit zu tun. Ministerpräsident Ramelow sei ein überzeugender Politiker, sagte Henning und hob vor allem dessen Bekenntnis zum evangelischen Christentum hervor. Das sei bei der früheren SED undenkbar gewesen.

„Mein Wunsch ist: Die CDU möge mit Herrn Ramelow Geschäftsfelder ausloten“, sagte Henning. Wenn er manche höre, die sagten, die Linke seien Feinde, frage er sich, wie viel Christentum noch in der CDU stecke. „Ich kann mit ideologischen Feindbildern nichts anfangen.“

Ausschließen ist undemokratisch

Dass Linke und AfD eine Koalition bilden, wäre völlig undenkbar. Undenkbar war bislang auch eine Koalition von der Linken und der CDU. Ramelow hat Thüringen eher pragmatisch als ideologisch geführt. Die Wähler haben das honoriert, aber sie haben auch Rot-Rot-Grün abgewählt. Wenn sonst keine Koalition zustande kommen würde, muss man das Undenkbare denken. Oder man „bestraft“ Bodo Ramelow mit einer Minderheitsregierung. „Soll er doch die Suppe auslöffeln.“ Aber auch dann muss es demokratische Kooperationen geben, sonst droht der politische Stillstand. Der CDU-Mann Mike Mohring hatte eine links-schwarze Konstellation von vornherein ausgeschlossen. Fortschreitende „Ausschließeritis“ wäre jedoch das Ende der Demokratie.

Das gilt auch für eine AfD, die sich noch längst nicht von ihren braunen Phantasien getrennt hat. Eine Partei, die Typen wie Björn Höcke duldet, ist brandgefährlich für die junge Demokratie im Osten unseres Landes. Dennoch darf man diese demokratisch gewählte, aber immer noch „pubertäre“ Partei nicht wie den Hund vor dem Metzgerladen behandeln. Da hängt oft ein Schild mit einem Dackel drauf, unterschrieben mit den Worten: „Wir müssen draußen bleiben“. Diese Partei will gar keine Regierungsverantwortung übernehmen, denn dann würde ihre Fundamentalkritik schnell auffliegen. Thüringen bleibt Thüringen: Das Land Johann Sebastian Bachs, das Land Martin Luthers und das Land mit dem Sitz der Deutschen Evangelischen Allianz – unter welcher politischen Führung auch immer.

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