Auftischen verboten

Zu „7 Wochen ohne Lügen“ hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) aufgerufen. Geht da nicht noch mehr? Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
„Mal ehrlich! 7 Wochen ohne Lügen“ gehört zum Netzwerk des Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP)

Die evangelische Kirche will, dass die Menschen nicht mehr lügen. Das ist in etwa so überraschend, wie wenn Greenpeace zum Umweltschutz aufruft oder die Feststellung, dass der Sommer auf den Frühling folgt. Interessant wird der kirchliche Appell erst durch seine zeitliche Begrenztheit: Die diesjährige Fastenaktion heißt nämlich „7 Wochen ohne Lügen“. Um den Verzicht auf die Lüge als Fasten zu verstehen, braucht es zwar einige gedankliche Pirouetten, doch die Geschichte zeigt: Die Fastenzeit sorgt seit Jahrhunderten nicht nur für knurrende Mägen, sondern auch für kreative Ideen.

„Liquida non frangunt ieunum“, „Flüssiges bricht das Fasten nicht“, wussten schon darbende Mönche, die deshalb zwischen Aschermittwoch und Ostern wochenlang in Genuss des kalorien- und alkoholreichen Fastenbieres kamen. Über Schwaben hält sich die Erzählung, sie würden Maultaschen deswegen „Herrgottsbescheißerle“ nennen, weil dank blickdichter Teigtaschen die köstliche, aber in der Fastenzeit verbotene Fleischfüllung vorzüglich versteckt blieb.

Was folgt auf „7 Wochen ohne Lügen“?

Ob im Ländle wirklich die Überzeugung herrscht, man könne Gott mit zwei Lagen Nudelteig betrügen, darf ebenso bezweifelt werden wie die Annahme, literweiser Bierkonsum auf nüchternem Magen trage zur ernsten Fokussierung auf das Gebet bei. Belege fehlen ebenfalls für das Sprichwort, Betrunkene würden wie kleine Kinder immer die Wahrheit sagen, auch wenn damit dem siebenwöchigen Lügenverbot automatisch entsprochen wäre.

War es früher also die Entsagung von Fleisch oder fester Nahrung überhaupt, später auch der Verzicht auf Luxusgüter bis hin zum Facebook-Fasten, gilt es heute als herausfordernde geistliche Übung, das achte Gebot zu befolgen. Unklar bleibt, was auf „7 Wochen ohne Lügen“ folgen wird. „Sieben Wochen ohne Ehebruch“ oder „Sieben Wochen ohne Mord“ wären jedenfalls noch schwerer vermittelbar.

„Im Alltag umgeben wir uns mit vielen kleinen Lügen und Schummeleien, Wahres und Unwahres ist kaum zu trennen“, erklären die Verantwortlichen die Aktion. Es gehe nicht um schonungslose Ehrlichkeit, sondern darum, herauszufinden, was die Wahrheit eigentlich ist. Das ist freilich reichlich unambitioniert: Nur sieben Wochen nicht lügen, und dann geht es nicht mal schonungslos ehrlich sein?

Gingen notorische Lügner tatsächlich auf kalten Entzug, es wäre ein Segen für die Menschheit. Gerichtsverhandlungen wären rasch beendet, weil Rechts- und Staatsanwalt in trauter Einigkeit gleichlautende Erklärungen vortrügen. Der Finanzminister würde brusthoch in nicht hinterzogenen Steuergeldern schwimmen, und ginge es tatsächlich um schonungslose Ehrlichkeit, könnten Journalisten darauf hoffen, dass Politiker auf die Frage nach beruflichen Ambitionen nicht ein „Ich fühle mich im Moment am richtigen Platz“, sondern ein entwaffnend ehrliches „Natürlich will ich Kanzler werden“ erhalten würden.

Bleibt die Frage: Was kommt nach Ostern? Wer weiß, vielleicht erhöht sich die Leidensbereitschaft der Kirche ja derart, dass das Lügenverbot – zunächst testweise – auf 52 Wochen ausgedehnt wird. Das wäre mal kreativ.

Von: Nicolai Franz

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