Liebster Jesu, wir sind vier!

Pro-Kolumnist Jürgen Mette erinnert an tausende Pastorinnen und Pastoren, die nach dem Hype voller Kirchen nun bis Ostern wieder kleine Oblaten backen müssen.
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Ein Wellness- und Gesundheitsressort im Fichtelgebirge/Oberfranken. Um sechs Uhr morgens sind die Räumfahrzeuge im Einsatz. Es hat reichlich geschneit. Um kurz nach sieben kommt ein fröhlicher Typ mit einer Gitarre auf dem Buckel ins Foyer des Hotels und grüßt freundlich die Damen an der Rezeption. Er geht zielstrebig zur Hauskapelle, die sinnigerweise an der hochfrequentierten Wellnessallee liegt, auf der die in weiße Bademäntel gehüllten Rekonvaleszenten und Urlauber der großangelegten Sauna- und Badelandschaft entgegen wallen. Kurz vor dem Eintritt in dieses erholsame Feuchtgebiet steht eine mit Kreide beschriebene Tafel, die auf die Morgenandacht um viertel vor acht hinweist. Dazu der Hinweis, dass die Gäste auch im Bademantel willkommen sind.

Als ich die wunderschön gestaltete Kapelle betrat, war der Pfarrer dabei, seine Gitarre zu stimmen. Das Lied „Liebster Jesu, wir sind vier“ wäre angesichts der zwei leibhaftig erschienenen Gäste eine maßlose Übertreibung gewesen. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ hätte besser gepasst. Außer mir war tatsächlich nur eine Dame erschienen. Der Pastor lässt sich von der erbärmlichen Resonanz auf seinen treuen und gehaltvollen Dienst überhaupt nicht beeindrucken. Er betet, liest, predigt und singt, als hätte er ein volles Haus. Er verteilt zwei Karten aus dem Sortiment der Marburger Medien: Lieber Hände falten, als Sorgen falten! Seine schlichten Ausführungen über das Gebet erreichen mein Herz und katapultieren mich aus der Sorge um einen bevorstehenden längeren Klinikaufenthalt. Dieser treue Zeuge des Evangeliums hat auch schon vor einem Gast gepredigt. Nach der Andacht lädt er zum persönlichen Gespräch ein. Er bete für mich und meine gesundheitliche Situation.

Ist das effizient? Nein! Es macht betriebswirtschaftlich keinen Sinn. Der Gründer des Hauses hat großen Wert auf den Bau der Kapelle gelegt. Er zahlt die Hälfte der halben Pfarrerstelle, die Landeskirche steuert die andere Hälfte bei.

Gottes Gegenwart wird erfahrbar

Wenn ich dann so manches erhabene und zum Teil frivole Urteil frommer Leute über den Zustand der Volkskirchen höre, sie sei eine Kirche ohne Volk, dann denke ich an die flächendeckende christliche Grundversorgung unseres Landes in unterkühlten Dorfkirchen, in Kliniken und Hotels, in Schulen und Universitäten, in Altenheimen und Kindergärten und an die unzähligen treuen haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ohne beeindruckende Zahlen treu ihren Dienst verrichten, dann schäme ich mich fremd. Selbst der Zusammenschluss aller evangelikaler Freikirchen und Verbände würde diese flächendeckende Dienstleistung nicht vorhalten können.

Dass die Landeskirchen auch Geld für Projekte ausgeben, die unserer Einschätzung nach fehlinvestiert sind, ist hinlänglich bekannt. Aber warum sollten wir über das Fallobst der Kirche lamentieren? In dem hier geschilderten Erlebnis war Gottes Gegenwart erfahrbar, auch wenn sich der Einsatz nicht rechnet. Reden wir mehr von den guten Früchten. Und die gibt es auch in Kirchengemeinden, die sich nächste Woche nicht an der Allianzgebetswoche beteiligen. Das ist nicht das Maß aller Dinge, so sehr ich mich an hoher Beteiligung der evangelischen und katholischen Gemeinden vor Ort freue.

Von: Jürgen Mette

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Eine Antwort

  1. Ja. Wer sich durch die Anzahl der Kirchenbesucher blenden läßt, der kann das Evangelium IM GEISTE nicht verstanden haben.

    Die Gründe für die geringe Resonanz in den Kirchen, sind ein anderes Thema, welches auch NUR mit ABSOLUTER EHRLICHKEIT gelöst werden kann.

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