Trauriger Tiefpunkt einer Debatte

Grausame Gewalttaten von Flüchtlingen dürfen nicht dazu missbraucht werden, das Kirchenasyl mit Demagogie zu hinterfragen. Es geht um menschliche Schicksale und um das Gewissen. Ein Kommentar von Dietlind Jochims
Von PRO
Pastorin Dietlind Jochims ist Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche. Mit diesem Beitrag antwortet sie auf einen Kommentar von Alexander Kissler.

In Hamburg sind eine Mutter und ihre kleine Tochter brutal erstochen worden. Der mutmaßliche Täter ist der Vater des Kindes, er stammt aus dem Niger und lebt seit Jahren als Flüchtling in Hamburg. Die Tat hat viele Menschen erschüttert: Männer und Frauen, alte und junge Menschen, Einheimische und Geflüchtete. Jeder hat seine eigene Art, mit dem Schock, der Trauer und dem Gedenken an die Opfer umzugehen. Als Christin nehme ich sie mit in mein Gebet, und so halten es auch andere, die ich kenne.

Natürlich bleibt die Frage: Wie kann ein Mensch so etwas unfassbar Grausames tun? Ich habe darauf keine Antwort. Umso mehr wundere ich mich, wie entschieden manche sie zu kennen glauben und sich offenbar dermaßen sicher sind, dass sie sogar weitere Schuldige benennen: „Kirchenasylaktivisten“ und „grüne Weltverbesserer“, die zeigen, „dass falsches Denken grausame Folgen zeitigen kann“. Schließlich unterschätzten sie völlig, dass hier Menschen „aus fremden Gewaltkulturen“ nach Europa kämen. So hat es der Autor Alexander Kissler hier geschrieben. Im Klartext: Wäre der mutmaßliche Täter nicht 2013 (!) einige Monate in einer Hamburger Kirchengemeinde untergekommen, wäre der Mord jetzt nicht passiert. Was für ein Denken!

Auch Deutsche morden!

In dieser „Logik“ dürfte kein Mensch in Deutschland mehr einen anderen beherbergen, erst recht keinen Ausländer. Schließlich könnte dieser ja fünf Jahre später zum Mörder werden. Vielleicht kannte der Autor auch die Statistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) nicht: Im Jahr 2016 wurden in Deutschland 149 Frauen von ihren Partnern ermordet, also ein Opfer alle zwei Tage. Noch einmal so viele hatten Glück und überlebten den Anschlag auf ihr Leben. Man wird kaum sagen können, die Täter seien mehrheitlich aus „fremden Gewaltkulturen“ nach Deutschland gekommen – laut BKA-Statistik ist das Gegenteil richtig: Die meisten waren Deutsche.

Ich würde allerdings vermuten, dem Autor sind solche Fakten gleichgültig. Denn eigentlich will er etwas anderes: das Kirchenasyl kritisieren. Das ist sein gutes Recht. Er will es darüber hinaus jedoch auch kriminalisieren und instrumentalisiert dabei den Mord an einer Frau und ihrem Kind. Dass der Täter nie im Kirchenasyl war, ist ihm irrelevant. Hauptsache markig. Sein Text markiert den moralischen Tiefpunkt all dessen, was in den vergangenen Monaten über das Kirchenasyl geschrieben wurde.

Kirchenasyl will Recht stärken

Die Diskussion scheue ich nicht – Kirchenasyl ist ein kontroverses und emotionales Thema. Es geht um menschliche Schicksale, es geht um das Gewissen und um die Frage, wie wir uns in einer Ausnahmesituation richtig verhalten. Das Kirchenasyl stellt sich ohne Wenn und Aber zunächst auf die Seite eines Flüchtlings, dem durch eine Abschiebung eine nicht zumutbare Gefahr droht, das ist richtig. Es geschieht allerdings nicht „zum eigenen Moralvergnügen“ (so Kissler) oder richtet sich dabei gegen den Rechtsstaat – im Gegenteil, es will das Recht stärken. Denn auch in Behörden und Ämtern werden Fehler gemacht. Die später in staatlichen Verfahren gewährte hohe Anerkennungsquote für Geflüchtete, die im Kirchenasyl waren, bestärkt uns in diesem Einsatz: Er ist christlich, humanitär und menschenrechtlich geboten.

Ein Ringen darum, wie wir als Christen glaubwürdig handeln und als StaatsbürgerInnen für unsere Verfassung eintreten, muss und wird es weiterhin geben. Streit darüber gehört dazu. Haltlose Unterstellungen, Demagogie und die Instrumentalisierung von Gewaltopfern nicht.

Pastorin Dietlind Jochims ist Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche.

Dieser Beitrag ist eine Antwort auf den einen Kommentar des Journalisten Alexander Kissler, der im Cicero erschienen ist und auch von pro veröffentlicht wurde.

Von: Dietlind Jochims

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