„Spore“: Evolution simulieren – oder Gott spielen?

Am Donnerstag hat der Spielehersteller "Electronic Arts" (EA) das Computerspiel "Spore" veröffentlicht. Bereits auf der "Games Convention" in Leipzig wurde das neuartige Spiel vorgestellt. EA will mit diesem Titel alle anderen bisherigen Simulationsspiele in den Schatten stellen. "Einfach mal Gott spielen", heißt es derzeit verlockend in vielen Tageszeitungen.
Von PRO

Worum geht es? Der Spieler des Computerspiels „Spore“ schickt ein Wesen durch eine lange Entwicklung. Angefangen als Amöbe in der Ursuppe wächst es immer weiter und bekommt immer neue Fähigkeiten, Gliedmaßen und Erscheinungsformen.

Von einem „Evolutionsspiel“ sprechen derzeit fast alle Medien, die das Spiel vorstellen, das demnächst für einen Betrag zwischen 40 und 60 Euro zu haben sein wird. Denn eine Evolution vom Einzeller zum komplexen Wesen machen auch die Spielfiguren in „Spore“ durch. Aber ganz zutreffend ist dieser Begriff eigentlich nicht.

Evolutionssimulation oder Gott-Simulation?

Mit dem „Evolutionsspiel“ beziehungsweise der „Evolutionssimulation“ „Spore“ könne der Gamer „mit Ursuppen-Kreaturen virtuelle Artenvielfalt gestalten“ und „erleben, wer den darwinistischen Schaukampf übersteht“, schreibt „ZDF online“. Aber was ist denn Evolution eigentlich? Laut Darwin ist es die Fortentwicklung einer Spezies durch zufällige Mutation und Selektion. Kurz: der Zufall bringt Veränderungen an einem Lebewesen hervor, und wenn diese sich positiv auf das Überleben auswirken, werden sie an Nachkommen weitergegeben, Lebewesen mit negativen Zufallserscheinungen sterben aus. „Survival of the fittest“ heißt das Prinzip. Ein Schöpfer könnte bei diesem Getummel auf der Erde nur seinen Kopf auf die Arme stützen und zusehen. Ein aktives Eingreifen eines höheren Wesens sieht die Evolutionstheorie nicht vor.

Nicht so im so genannten „Evolutionsspiel“ „Spore“. Hier ist gerade der Spieler gefragt, seine blühende Phantasie einzusetzen und aus den zunächst armseligen Geschöpfen immer raffiniertere Lebewesen zu schaffen. Mit seiner Maus, mit seiner Tastatur und mit seinem Verstand. Kann man da überhaupt noch von einer „Evolutionssimulation“ sprechen?

„Ein kleines Zellbündel gleitet in die Ursuppe – und jetzt ist der Spieler dran“, beschreibt „ZDF online“ den Beginn des Spiels. Mit der echten „Ursuppe“ kann das Spiel also nicht viel gemein haben: Darwin zufolge musste die Ursuppe viele Millionen Jahre vor sich hin blubbern, bis sich etwas – ganz von selbst – tat. Allerhöchstens ein Blitz könnte zufällig geholfen haben – jedoch kein Mausklick und kein Tastendruck eines „höheren Wesens“. Ob den Medienschaffenden, die derzeit über „Spore“ schreiben, dieser bedeutende Unterschied zwischen „Spore“ und Evolution aufgefallen ist? Die Autoren von „ZDF online“ jedenfalls vermischen beides sogar nur in einem Satz: „Spore“ sei „ein Evolutions-Baukasten“, heißt es da, „der dem Spieler die Kontrolle über eine selbst geschaffene Spezies gibt.“ Also was nun: Evolution oder Baukausten, den ein Spieler kontrolliert?

Ebenso überschreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ihre „Spore“-Rezension mit den Worten „Spiel mir das Lied von der Evolution„. Die Kreaturen müssten den „Evolutionsparcours“ absolvieren, schreibt der Autor und spricht von „darwinistischen Schaukämpfen“. Diese „Schaukämpfe“ führen die Wesen aus, angetrieben von einem Spieler, nicht von selbst.

Auch die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, der Spieleerfinder Will Wright habe mit „Spore“ „die Evolution zum Game gemacht“. In Anlehnung ausgerechnet an die Schöpfungsgeschichte der Bibel, die ja eben gerade nach Ansicht der vielen Feuilltonisten so gar nichts mit der Evolution zu tun hat, beginnt der Artikel so: „Am Anfang war der Code. Und die Festplatte war wüst und leer, und es war finster in der Bildröhre, und das Programm brauchte noch ein bisschen, um sich endlich hochzuladen. Dann klickte der Spieler auf Start, und Nullen und Einsen, die Grundelemente des virtuellen Universums, setzten sich zu Erde, Wasser und primitiven Zellen zusammen – das Leben begann.“ Offenbar braucht es auch in einer Simulation der Evolution einen „unbewegten Beweger“, der den Anstoß gibt, die Sache ins Rollen bringt. Der Spieler steuere im Spiel „die Evolution einer Spezies vom Einzeller bis ins Raumfahrt-Zeitalter“, so die SZ weiter. Wie langweilig muss da die wirkliche Evolution gewesen sein?

Im SZ-Interview mit dem „Spore“-Erfinder Will Wright wird klar, dass dieser das Spiel gar nicht so sehr als „Simulation der Evolution“ gedacht hat, wie alle Medienberichte hierzulande schreiben. Die SZ fragt ihn: „Sie haben ‚Spore‘ ein ‚philosophisches Spiel‘ genannt. Verfolgen Sie einen Bildungsauftrag?“ Wright, der mit „Die Sims“ große Erfolge feierte, antwortet: „Mein Ziel war, dass man während des Spielens einige Wendepunkte des menschlichen Denkens streift – aber ich wollte keine Infotafeln einbauen, sondern die Philosophie-Revolution wie den Kopernikus-Satz oder das Entropie-Prinzip erlebbar machen.“

Der Spieler wird zum Schöpfer

Der Spieler wird zum Schöpfer der unglaublichsten Kreaturen„, schreibt das Jugendportal „Zoomer.de“. Dennoch heißt es wenig später im selben Artikel: „Der Spieler führt eine Kreatur durch die Evolution vom Kleinstlebewesen in der Ursuppe bis zur Weltraummacht, die ganze Galaxien bevölkert und Planeten urbar macht.“ Ist es also vielleicht doch eher eine „Gott-Simulation“ statt einer „Evolutionssimulation“? Der Autor erkennt dann auch von selbst: „Letztlich ist das Hauptthema von ‚Spore‘ gar nicht Evolution, sondern: Kreativität.“

Die „Netzeitung“ überschreibt ihren „Spore“-Artikel mit „Einfach mal Gott spielen„. (Und nicht: Evolution spielen).

Und auch die „Welt“ titelt: „Bei Spore darf jeder ein bisschen Gott spielen„. Der Autor spricht sogar lieber von einer „Lebenssimulation“ anstatt von einer „Evolutionssimulation“. „Jetzt mal ganz ehrlich. Haben Sie nicht auch schon darüber nachgedacht, wie es wäre, Gott zu sein? Bestimmt. Man kann tun und lassen, was man will: In sieben Tagen Welten erschaffen, Kreaturen formen und sie nach seinem Willen lenken. Cool, oder?“

Im Mittelpunkt von „Spore“, da sind sich fast alle Rezensenten einig, steht etwas, was an Unterhaltungswert kaum zu schlagen ist; es ist etwas, was die Menschen seit jeher immer noch am allerliebsten in ihrer Freizeit betreiben, das wahrscheinlich so alt ist wie die Menschheit selbst und das letzten Endes wahrscheinlich für einen enormen Markterfolg von „Spore“ sorgen wird: die Kreativität. Gerade die aber findet sich in der Evolution so wenig wie bei deutschen Journalisten das Verständnis, dass es einen Unterschied geben könnte zwischen Schöpfung und Evolution. (PRO)

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