„Können nicht zusehen, wenn Glaubensgeschwister in den Tod abgeschoben werden“

Hamburg und Berlin streiten um vier afghanische Konvertiten, die in einer Berliner Kirche Asyl erhalten haben. Pfarrer Martens kann den Trubel nicht nachvollziehen – und kritisiert, dass der Staat sich erlaubt, den Glauben von Christen zu beurteilen.
Von PRO
Pfarrer Gottfried Martens während eines Gottesdienstes

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat der Berliner Landesregierung scharfe Vorwürfe gemacht hat. Grund sind vier afghanische Konvertiten, welchen in einer Kirchengemeinde der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Berlin-Steglitz Kirchenasyl gewährt wird (lesen Sie hier den Bericht dazu). Tschentscher fordert eine Überstellung der afghanischen Asylbewerber nach Schweden, dem Land, in dem die Flüchtlinge zuerst einen Asylantrag gestellt hatten. Der Pfarrer der Kirchengemeinde nimmt im PRO-Interview Stellung.

PRO: Wie haben Sie von den Vorwürfen erfahren und davon, was danach geschah?

Gottfried Martens: Erfahren haben wir es von der Presse. Wir waren erstmal erstaunt, dass sie ein so großes Bohei machen. Dabei entstand der Eindruck, dass sich unser spezifischer Fall von anderen Kirchenasylfällen unterscheiden würde. Das ist Quatsch. Wir machen genau dasselbe wie andere Kirchen auch. Bei den Vorwürfen des Hamburger Bürgermeisters handelte es sich offenkundig um eine politische Aktion. Es ging nicht um eine sachliche Klärung, sondern darum, dass Herr Tschentscher zeigen wollte, dass er der harte Mann ist.

Berlins Regierender Bürgermeister, Kai Wegner, weist Tschentschers Vorwürfe zurück, stellt sich hinter das Kirchenasyl und antwortet dem Hamburger Bürgermeister provokant. Die Berliner Landesregierung habe der Hamburger Polizei angeboten, die Flüchtlinge selbst aus der Kirche zu holen. Waren Sie überrascht davon? Hat der Bürgermeister sich vorher mit Ihnen abgestimmt?

Nein, persönlich abgesprochen hatten wir uns nicht. Wir haben generell ein gutes Verhältnis zur Senatsverwaltung und wussten von der Haltung des Berliner Senates. Für uns war es somit keine Überraschung. Natürlich freuen wir uns trotzdem.

Wie kommt es eigentlich dazu, dass die afghanischen Flüchtlinge bei Ihnen Kirchenasyl erhalten haben? 

Die vier Männer, um die es geht, haben nach zehn Jahren Aufenthalt in Schweden einen Abschiebebescheid nach Afghanistan bekommen. Daraufhin sind sie nach Deutschland geflohen. Sie sind geistlich erfahrene Christen und mittlerweile fester Teil unserer Gemeinde. Wenn sie nach Afghanistan abgeschoben werden, müssen sie um ihr Leben fürchten. Wir haben es selber erlebt, dass ein Gemeindeglied nach Afghanistan abgeschoben wurde und nach relativ kurzer Zeit offenkundig dort umgebracht worden ist.

„Wenn das Leben von Christen akut in Gefahr ist, dürfen wir uns nicht wegducken.“

Pfarrer Gottfried Martens

Warum würden Sie als Pfarrer und Christ sagen, ist Kirchenasyl wichtig in Deutschland?

Weil wir eine Verantwortung haben für unsere Glaubensgeschwister. Wir können nicht zusehen, wenn Glaubensgeschwister in den Tod abgeschoben werden. In Galater 6 lesen wir: „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist an eines Glaubensgenossen.“ Und das ist unser erster Leitsatz. Das heißt, wenn das Leben von Christen akut in Gefahr ist, dürfen wir uns nicht wegducken.

Wie prüfen Sie, wer bei Ihnen Kirchenasyl beantragen kann und wer nicht? 

Meistens kennen wir die Antragsteller schon vorher. Bis zur Erstellung des Dossiers ist zusätzlich ein Monat Zeit. In dieser Zeit lebt man zusammen und hat die Möglichkeit, intensive Gespräch zu führen. In dieser Zeit können wir feststellen, ob die Person wirklich Christ ist und ob ihr Verfolgung in ihrem Heimatland drohen würde.

Die CDU fordert, wenn die Kirche Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt, dann sollte sie sich langfristig auch finanziell um diese Menschen kümmern. Was halten Sie davon? 

Das sind immer wieder dieselben Drohkulissen. Wir machen das Ganze ja nicht zu unserem eigenen Vorteil. Abgesehen davon ist jedes Kirchenasyl eine simple Bitte an den Staat, den Einzelfall zu respektieren. Mehr machen wir nicht. Wir stehen da nicht mit Kalaschnikows und verteidigen die Leute. Wenn die Polizei das Kirchenasyl beendet, können und werden wir sie nicht mit Gewalt davon abhalten.

Was läuft falsch im deutschen Asylsystem?

Zwei Dinge. Erstens die Frage, ob staatliche Stellen tatsächlich dazu in der Lage sind, besser als die zuständigen Seelsorger den Glauben von konvertierten Christen zu beurteilen. Der Staat führt siebenstündige Interviews, um die Betroffenen mit Fragen zu konfrontieren wie: Was ist Shibolet, und was steht in der Bibel darüber, ob Frauen Männerkleidung tragen dürfen? Nicht jeder in unserer Gemeinde hat eine Universitätsausbildung. Gerade viele Afghanen können sich nur sehr schlicht ausdrücken. Die sich immer wiederholende Geschichte lautet: Ein Pastor bescheinigt einem Menschen aufgrund seiner Erfahrungen und Gespräche mit ihm, ein ernsthaft konvertierter Christ zu sein. Die staatliche Behörde berücksichtigt die Bescheinigung überhaupt nicht und erklärt, dass die Ausführungen des Betreffenden ihren Ansprüchen an einen konvertierten Christen nicht genügen. Das Resultat: Der Abschiebungsbescheid. Und zweitens die Frage: Sollte man prinzipiell Christen noch nach Afghanistan abschieben dürfen? Bereits im Jahr 2018 hatte das Auswärtige Amt – das war noch vor den Taliban – gesagt: Schon allein der Verdacht, dass jemand Christ sein könnte, sei in Afghanistan lebensgefährlich.

Was wird mit den vier afghanischen Konvertiten passieren?

Ich hoffe, dass unser Kirchenasyl respektiert wird und weiter nach den Dublin-Regeln verfahren wird. 

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Von: Christian Biefel

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