Die Snowboard-Kultur ist eine Performance-Kultur. Kelly Clark ist ein Teil davon. Mit 14 Jahren sah sie im Fernsehen, wie die Deutsche Nicola Thost die erste Goldmedaille im Snowboarden überhaupt gewann. Den Wettbewerb der Olympischen Spiele 1998 hatte Kelly extra auf Video aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt entschloss sie sich: „Das ist das, was ich tun möchte.“ Vier Jahre später gewann die junge Frau auf ihrem Snowboard bei der Winterolympiade in Salt Lake City die Goldmedaille in der Halfpipe.
„Gott liebt dich trotzdem.“
Mit 18 Jahren war Clark bereits auf dem Zenit ihrer Karriere. Sie galt als Pionierin und Star der Szene. Der Erfolg war riesig, er erfüllte sie aber nicht. Im Inneren fühlte sie sich einsam. Sie suchte nach Liebe: „Ich habe viel mehr erreicht, als die meisten Menschen jemals in ihrem Leben die Möglichkeit haben. Das war aber wertlos. Das war nicht das, was ich gesucht habe. Ich konnte keine Bedeutung im Erfolg finden.“ Die erfolgsverwöhnte Sportlerin hatte keine Ziele mehr, hatte sogar Suizid-Gedanken: „Wenn das alles ist, möchte ich das nicht mehr machen.“ Aber sie fuhr weiter, von Wettbewerbssaison zu Wettbewerbssaison. Dann kam der Tag, der Clarks Leben veränderte. Es war der erste Tag der Saison 2004/2005. „Toll, ich werde wieder das gleiche machen wie immer und mich fragen, warum tue ich das“, dachte sie. Der Wettbewerb lief, die Snowboarder zeigten ihre Tricks. Clark hörte unbeabsichtigt eine Unterhaltung von zwei Mädchen mit. Ein Mädchen tröstete ihre Snowboarder-Freundin, die aus dem Wettbewerb ausgeschieden war, mit den Worten: „Das macht nichts. Gott liebt dich trotzdem.“ Es war eine dieser Unterhaltung, die Freunde führen, um sich gegenseitig zum Lachen zu bringen. „Es war nicht ernst, niemand hielt mir eine Predigt oder versuchte, mir Jesus näher zu bringen.“ Sie fragte sich: „Wenn Gott sie liebt, vielleicht liebt er auch mich?“„Gott, wenn du echt bist, zeig mir, dass du echt bist.“
Sie ging in ihr Hotel und fand eine King-James-Bibel, die dort auslag. Clark las darin, verstand aber den Inhalt nicht. Schließlich suchte sie das Mädchen, das während des Wettbewerbs ihre Freundin getröstet hatte und im selben Hotel wohnte. Clark erinnert sich an die Situation: „Da stand ich, die aktuelle Olympia-Goldmedaillen-Gewinnerin, die einflussreichste Person in unserem Sport, und klopfe an der Tür des Mädchens und sage: ‚Hey, ich glaube, du bist eine Christin und du musst mir von Gott erzählen.‘“ Das Mädchen lud sie ins Hotelzimmer ein und erklärte, dass Gott sie für einen Zweck geschaffen habe. Dass er sie liebe und dass etwas Größeres ablaufe, als sie sehen könne. Das Mädchen sagte, dass Jesus sie für eine Beziehung geschaffen habe und er sich wünsche, dass sie ein Leben in Fülle habe. „Das hat etwas so tief in mir aufgewühlt, das ich nicht ignorieren konnte.“ Trotzdem stürzte sie sich nicht Hals über Kopf ins Glaubensleben. Clark nahm sich die nächsten vier Monate Zeit und sagte: „Gott, wenn du echt bist, zeig mir, dass du echt bist.“ Sie begann zu beten, ein tägliches Andachtsbuch und Glaubensbücher zu lesen. In dieser Phase ging viel in ihr vor. „Am Ende der vier Monate kam ich zu dem Schluss, dass Gott echt ist und dass ich jeden Tag mit ihm spreche und er mich liebt.“ Sie beschloss, Jesus zu vertrauen: „Es war einfach eine unglaubliche Zeit für mich in meinem Leben, in der ich begann, mich selbst als die kennenzulernen, die ich bin.“ Dabei ging es nicht darum, was sie erreicht hatte – „das erste Mal im Leben“. Sie schloss sich einer Gemeinde an. Über die anderen Gemeindemitglieder dort sagt die Sportlerin heute: „Sie liebten mich als die, die ich war, nicht nur für meine Leistung.“ Diese Zeit veränderte ihr Leben. Dies gab ihr das Fundament, sagt sie heute, ihre Träume auf gesunde Art zu verfolgen, und Beständigkeit. Heute geht Clark in die Jesus-Culture-Kirche in Sacramento, Kalifornien, und spricht immer wieder auf deren Jugend-Events. Wenn sie früher jemand gefragt hätte, wie sie sich ihr Leben vorstelle, hätte sie diesen Weg „nicht in 100 Jahren“ genannt. „Es ist das Beste, was mir je passiert ist und es ist die beste Wahl, die je getroffen habe.“Jesus-Sticker auf dem Brett
Clark will in die nächste Generation investieren. 2010 hat sie die Kelly-Clark-Foundation gegründet. Die Stiftung vergibt Stipendien an bedürftige Schüler, die Wintersport betreiben wollen, denen aber die Ausrüstung zu teuer ist. Zudem möchte die Stiftung Kindern und Jugendlichen helfen, durch das Snowboarden erfolgreich zu werden. Durch den Sport sollen die Schüler ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln. Die 31-Jährige weiß um ihre Position, und darum, wie junge Mädchen zu bekannten Snowboarderinnen aufschauen. Ihre Snowboard-Kolleginnen Gretchen Bleiler oder Hannah Teter lassen sich gern mal im Bikini oder gar mit noch weniger ablichten. Von Clark kursieren solche Bilder nicht im Netz. „Ich muss darauf achten, für was ich stehe und wie ich diesen Einfluss nutzen kann“, sagt sie. Sich treu bleiben ist ihr wichtig. „Ich möchte eine Inspiration für andere Menschen sein. Ich möchte die Mädchen wissen lassen, dass sie Anführerinnen und Pioniere sein können, dass alles möglich ist.“ Als sich Clark für ein Leben mit Jesus entschied, wusste sie nicht, wie die Snowboard-Szene dies aufnehmen würde. Auch nicht, wie sie selbst damit umgehen und vor welche Herausforderungen es sie stellen würde. Als sie einmal in der Kirche war, sangen sie dort ein Lied mit dem Text „I cannot hide my love” (Ich kann meine Liebe nicht verbergen). „Ich fühlte mich, als hätte der Heilige Geist so klar zu mir gesprochen. Er sagte: ‚Kelly, deine Liebe für mich ist nichts, was du den Menschen erzählen musst, es ist nichts, was du verteidigen musst, aber es wird etwas sein, das du nicht verbergen kannst.‘ Das war so beruhigend für mich, dass ich Sticker auf mein Snowboard geklebt habe, auf denen genau das steht.“ Die „Jesus, I cannot hide my love“- oder einfach „Jesus“-Aufkleber hat sie auf allen ihren Brettern. „Sie sind in erster Linie für mich, aber auch für andere.“„Leben in Fülle“
pro: Wie würden Sie Glaube und Snowboarden in einem Satz vereinen?
Kelly Clark: Mein Glaube ist mein Rückgrat beim Snowboarden.Wie sieht das konkret aus?
Ich gehe mit Gott und das gibt mir Selbstbewusstsein. Ich fühle mich wertvoll, egal ob ich in einem Wettbewerb gewinne oder verliere. Deswegen fühle ich mich frei. Das ist das Rückgrat meiner Identität und mein Zugang zum Snowboarden kommt daher. Ich weiß, dass ich bedeutend bin, egal, wie mein Tag läuft, egal, welches Ziel ich erreiche, unabhängig von meinen Erfolgen oder Misserfolgen.Der Schweizer Snowboarder Nicolas Müller denkt über Snowboarden als eine Art Religion, weil er daran glaubt. Kann Snowboarden eine Ersatzreligion sein?
Mit dem Snowboarden geht ein starkes Verbundenheitsgefühl einher, das Gefühl, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein. Das gibt es in jedem Lifestyle-Sport. Aus erster Hand kann ich sagen: Snowboarden ist keine völlig erfüllende, nachhaltige, lebensschenkende Sache. Es ist Spaß. Aber du wirst darin niemals das Gefühl von Freiheit finden, das du bekommst, wenn du Gott kennenlernst. Es kann ein Ersatz sein. Es ist gut, aber es wird nie das Beste sein.Was bedeutet Ihnen die Beziehung zu Jesus?
Es ist eine echte Beziehung, die Frieden und Leben und Freude bringt. Es ist ein Leben in Fülle.Die New York Times nannte den 2014er Olympia-Goldmedaillen-Gewinner im Ski-Freestyle David Wise einen „Undude“, sprich das Gegenteil von einem Coolen. Mit 24 Jahren ist er verheiratet, Vater einer Tochter und betreut christliche Jugendgruppen. Nach seiner Sportkarriere will er Pastor werden. Sehen Sie sich manchmal als „Undude“ in der Snowboard-Szene?
Ich kann nicht sagen, dass ich in die Snowboard-Kultur passe. Ich bin definitiv nicht der stereotype Snowboarder, aber ich fühle mich wohl, so wie ich bin. Vielleicht sind es solche Menschen wie ich, die diese Kultur mehr braucht als alles andere. Wenn ich nicht reinpasse, ist das in Ordnung, ich bin trotzdem erfolgreich.Wäre das auch etwas für Sie, Pastorin zu werden?
Ich weiß nicht, ob ich das im traditionellen Sinn mögen würde. Ich der Realität ist es das, was ich genau jetzt tue. Ich bin in einer Gruppe von Menschen, die mir wichtig sind, die mir am Herzen liegen. Ich bin in einer Gemeinschaft, für die ich da sein möchte, die ich aufbauen möchte, die ich ermutigen will, der ich helfen will. Die Fragen stellte Martina Schubert. (pro)