Klicken wie ein Obdachloser: Das „Pennergame“

Ist es Sympathie für die armen Schlucker, die gerade an den jetzt kälter werdenden Tagen um ihre Gesundheit und ihr Leben fürchten müssen? Ist es Ironie, ein Spaß, über den man nur verhohlen lacht? Oder steckt dahinter ein neuer Versuch, im Internet groß abzusahnen und dabei auch eiskalten Zynismus in Kauf zu nehmen? Das kostenlose "Pennergame" erfreut sich derzeit unglaublicher Beliebtheit. Hunderttausende Deutsche, vor allem Schüler, spielen täglich das Leben eines Obdachlosen nach - und offenbar findet das niemand in irgendeiner Weise menschenverachtend.
Von PRO

„Du bist ein untalentierter Penner am Hamburger Hauptbahnhof und kannst weder Lesen noch Schreiben“, lautet die Vorgabe im „Pennergame“. Zwei 19-jährige Hamburger haben das Online-Spiel vor einigen Monaten ins Netz gestellt, um Geld durch Werbung zu verdienen. Und das funktioniert beträchtlich gut: das Spiel ist angesagt auf deutschen Schulhöfen, über 700.000 Spieler haben sich in kurzer Zeit registriert, die Seite hat über 20 Millionen Seitenzugriffen am Tag.

Der Spieler des „Pennergames“ hat zum Ziel, „endlich Reich zu werden“. Die Spielebetreiber laden (orthografisch nicht perfekt) ein: „Lerne Lesen und Schreiben um endlich Plakate vor dir aufzustellen um auf dich aufmerksam zu machen. Lerne Gitarre spielen um Leute zu beeindrucken, kaufe dir Hunde um Mitleid zu erregen. Miete dir einen Einkaufswagen um Pfandflaschen zu sammeln, werde Trickbetrüger und klaue anderen Menschen Uhren, Brieftaschen und Schmuck.“

Immer Bier und Plastikbecher dabei

Wer sich neu registriert, hat schon mal zehn virtuelle Euro als Startkapital. Die befinden sich, wie es sich für einen Penner von der Straße gehört, in einem weißen Plastikbecher. „Werde zum Bettel-Monopolisten!“, betteln die Seitenbetreiber den Besucher an. Um ein paar weitere Klischees zu bedienen, hat der neu erstellte „Penner“ natürlich „schlechte Laune“ und ist „aggressiv“. Der Alkoholpegel der Spielfigur muss immer auf einem gewissen Level gehalten werden.

Aus einem Menü kann der Spieler Aktionen für den armen Schlucker auswählen. Wie im echten Leben meistens auch, ist nichts über das Schicksal dieses Menschen bekannt, der auf dem Asphalt hocken muss. Die Figur kann Pfandflaschen sammeln und verkaufen, einen von acht „aufregenden Schnorrplätzen“ suchen, aus neun Musikinstrumenten auswählen, 27 verschiedene Haustiere kaufen oder sich eines von 22 unterschiedlichen „Eigenheimen“ zulegen. Auf der rechten Seite prangt das Werbebanner für ein neues Auto. Das kann sich der Spieler allerdings nur im echten Leben kaufen, versteht sich, und zwar wenn er kostenlose Internet-Angebote bevorzugt und sein Geld nicht zum Fenster herauswirft, etwa, in dem er es Pennern auf der Straße gibt. Denn die haben ja bekanntlich nur Alkohol und Ärger im Kopf, suggeriert das Browser-Spiel.

Verbrechen helfen, reich zu werden

Der kostenlose Spielzeug-Penner für die Pause kann auch „verschiedene Verbrechen begehen“: „Es ist nicht immer leicht, legal sein Leben zu bestreiten“, erklären die Betreiber. Kleingeld bei der Toilettenfrau stehlen oder einen Überfall auf die Imbissbude begehen, irgendwie kommen diese Penner ja immer an ihr Geld. Essensausgaben der Heilsarmee, die „Tafel“ oder Obdachlosenstellen der Diakonie hat das Pennergame nicht vorgesehen. Stattdessen 24 Waffen, die sich der aggressive Penner verdienen kann.

Klar, es sei „ein Strategiespiel satirischer Art“, erklären die Betreiber. Die Firma, der hunderttausende Schüler das „Pennergame“ zu verdanken haben, heißt „Farbflut Entertainment GmbH“ und sitzt in Hamburg. Die beiden 19-Jährigen Marius Follert und Niels Wildung haben das Spiel entwickelt, dafür haben sie ihre Ausbildung abgebrochen. Damit sie jedoch nicht fürchten müssen, im echten Leben tatsächlich einmal auf der Straße zu landen und mit einem Messer auf Klofrauen losgehen zu müssen, haben sie finanzstarke Werbepartner, die einträgliche Pixel auf ihrer Penner-Seite schalten: Autohersteller, DSL- und Reiseanbieter oder eine Erfrischungsgetränkefirma.

Jetzt auch per Handy vom Schulhof aus

„Natürlich sind wir uns der Tatsache bewusst, dass das Spiel ein soziales und politisches Randthema behandelt“, erklärt Pennergame.de-Sprecher Steffen Peuckert gegenüber „Pressetext“. „Bei Pennergame wird dieses aufgenommen und für eine junge Zielgruppe thematisiert. Dabei greifen wir auf bestehende Stereotype zurück und ermöglichen es, virtuell betteln zu gehen oder Flaschen zu sammeln.“

Nun ist der Aufstieg auch im Ausland geplant. „Nach Österreich und der Schweiz werden wir das Spiel jetzt für die USA, Großbritannien, Frankreich und Polen adaptieren“, sagt der junge Programmierer Follert. Seit Neuestem kann der engagierte Spieler seinem virtuellen Pennerdasein auch vom Schulhof aus per Handy frönen. Und wenn er in der Stadt an einem echten Obdachlosen vorbeikommt, kann er sich ja vielleicht ein bisschen besser in ihn hineinversetzen, wie es ist, mittels Pfandflaschen zum Millionär werden zu wollen. Wie sehr dessen Schicksal jedoch von Mausklicks abhängt, wird ihm verborgen bleiben. (PRO)

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