Kirchentag: Ringen mit Gott

Am morgigen Mittwoch beginnt in Hamburg Deutschlands größtes Protestantentreffen. In der Hansestadt gibt es 2.500 Veranstaltungen, zu denen mehr als 100.000 Dauergäste erwartet werden. Das Motto des Kirchentags lautet 'Soviel du brauchst'. Damit, was die drängendsten Themen der Protestanten sind, beschäftigen sich viele Medien.
Von PRO

„Fünf Tage lang werden alle zusammen beten, feiern und diskutieren“, schreibt das Hamburger Abendblatt. Für den Welt-Redakteur Matthias Kamann ist das Motto des Treffens ein Beweis dafür, dass die Protestanten beständig um ihren Glauben ringen müssen. Er akzeptiere Diskussionen über Finanzkrise, Nachhaltigkeit und Wohlstand. Sehr wohl müsse man aber auch fragen, welche Rolle Gott dabei spiele. Im biblischen Kontext habe das Volk bei seinem Aufenthalt in der Wüste Gott das „Benötigte abverhandelt“.

Auseinandersetzung unterentwickelt

Die Bibelstelle „Soviel du brauchst“ appelliere nicht nur an das Gottvertrauen des Volkes, sondern bezeuge ein Wunder und die nüchterne Feststellung, dass der Mensch ohne Nahrung stirbt. Kamann bemängelt, dass im Protestantismus die Auseinandersetzung mit jenem Gott-Gegenüber unterentwickelt sei. Häufig finde kein Ringen mit Gott mehr statt. Gebete würden zu Gesten, in denen sich Christen im Bedürfnis nach gelingendem Leben mit Gott zu verbinden suchen.

In Vorbereitung des 500-jährigen Reformationsjubiläums erweise es sich als Problem, dass „niemand mehr Angst hat vor dem rätselhaften Gott“ und mit seinen Strafen rechne. Jenseits-Ängste würden mit innerweltlichen Sorgen vertauscht, etwa dass man sozial nicht anerkannt werde. Viel entscheidender als die Ethik des Genug, die vielen Kirchentags-Besuchern ausreiche, sei aber aus Kamanns Sicht, ob und wie hierbei noch Gott gedacht werden kannt. „Es wäre eine Überraschung, wenn der Kirchentag deutlich machen könnte, dass ‚Soviel du brauchst‘ eine Formel für das Rätsel des fernen Gottes ist."

Im Wahljahr besonders viel politische Prominenz

Zu den großen Themen des Kirchentags gehören wie fast immer Gerechtigkeit, die Grenzen des Wachstums und der interreligiöse Dialog. Im Bundestagswahljahr ist auch die gesamte politische Elite in Hamburg versammelt. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Harris interactive ist der Kirchentag immerhin 68 Prozent der Hamburger bekannt. Weil die Hamburger traditionell am Himmelfahrtswochenende ihren Hafengeburtstag feiern, wurde die Veranstaltung auf das erste Mai-Wochenende verlegt.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, erwartet trotz schwindender Mitgliederzahlen und schwieriger Zeiten wertvolle Impulse des Protestantentreffens: „Auf dem Kirchentag können sich kluge, theologisch und politisch leidenschaftliche Menschen austauschen. Dabei entstehen wichtige Impulse für die ganze Gesellschaft“, zitiert Die Welt Nikolaus Schneider. Kirchentage sind traditionell politisch und werden meist zu Schauplätzen aktueller gesellschaftlicher Debatten.

„Das richtige Maß“

Die Veranstalter verstehen das Motto als Aufruf zu einem bürgerschaftlichen Engagement und zu verantwortungsvollem Wirtschaften. „Es geht um das richtige Maß“, sagte die Bischöfin von Hamburg und Lübeck Kirsten Fehrs. Gegenüber Spiegel Online betont sie, dass Kirchentage Stimmungen aus der Gesellschaft aufnähmen: „Unsere Besucher wollen sich einbringen, selber mitreden, etwas zum Nachdenken mitnehmen. Sie nehme wahr, dass sich protestantische Christen nach einer transzendenten Wirklichkeit sehnten: „Es gibt ein großes Sehnen nach Klarheit und Trost, nach Anbindung und Gemeinschaft. All das allerdings, ohne den Verstand an der Garderobe abgeben zu müssen. Also eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Glauben, eine gelebte Religion, an die man mit Verstand und Herz anknüpfen kann.“

Gerade in schwierigen Lebensphasen oder Grenzerfahrungen sei Kirche eine wichtige Institution, die helfen könne: „Die religiöse Sprache füllt diese Lücke, weil sie Schwingungen und Empfindungen aufnimmt. Sie verlautbart nicht nur und liefert Fakten, sondern geht in die Tiefe“, meint Fehrs. Die gastgebende Nordkirche hat 2,3 Millionen Mitglieder und ist die jüngste der 20 EKD-Gliedkirchen. Sie entstand 2012 aus einer Fusion der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche. Der evangelische Kirchentag findet seit mehr als 60 Jahren an wechselnden Orten statt. In diesem Jahr ist er zum vierten Mal in Hamburg. (pro)

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