Kirchentag in Bremen: Viele Worte, bunte Themen und klare Meinungen

Der 32. Deutsche Evangelische Kirchentag in Bremen ist am Sonntag mit einem Gottesdienst zuende gegangen. An den vier Tagen des größten Protestantentreffens in Deutschland wurden allerlei Themen und Probleme erörtert, von Persönlichkeiten aus Politik, Medien, Wissenschaft und Kirche. Ein kleiner Überblick.
Von PRO

Bundespräsident Horst Köhler hat die Menschen im Land dazu aufgerufen, sich für mehr Gerechtigkeit in der Welt einzusetzen und Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung zu übernehmen. Jeder könne seinen Beitrag leisten, die Welt ein bisschen besser zu machen, betonte er am Mittwoch, 20. Mai, im Eröffnungsgottesdienst des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentages vor schätzungsweise 50.000 Gottesdienstbesuchern auf der Bremer Bürgerweide.

Zugleich warnte der Bundespräsident vor zunehmendem Egoismus: „Wir wollen aufhören, auf Kosten anderer zu leben.“ Die Losung des Kirchentages „Mensch, wo bist du?“ sei ein Aufruf, aus Fehlern zu lernen, zusammen zu stehen und gemeinsam „Menschenwerk zum Guten zu verrichten“. Darüber hinaus erinnerte der Bundespräsident an die friedliche Revolution in der DDR vor 20 Jahren. „Es waren viele Christen unter denen, die die Mauer zu Fall gebracht haben“, hob Köhler hervor. Insgesamt kamen zu den drei Eröffnungsgottesdiensten etwa 75.000 Menschen.

Nach Aussage der Kirchentagspräsidentin und Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck will das Protestantentreffen eine neue Debatte über persönliche und gesellschaftliche Verantwortung in Politik und Gesellschaft angesichts der tiefgreifenden Rezession, der ökologischen Krise und der zunehmenden sozialen Verwerfungen in der ganzen Welt anstoßen. „Das Ende der Neid- und Gierphase scheint gekommen zu sein. Diesen Moment wollen wir ausnutzen“, so von Welck zum Auftakt des Kirchentages. Die Kirchentagslosung „Mensch, wo bist Du?“ habe sich in dieser Situation als prophetischer Glücksfall erwiesen. Und auch das Engagement für eine menschenwürdige Gesellschaft sei durch den Kirchentag zum „protestantischen Standard“ geworden, so von Welck.

Merkel für gerechtere Welt

Bei der gerechten Verteilung natürlicher Ressourcen muss nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Würde des Menschen stärker in Blick kommen. „Die Würde ist unantastbar – und das gilt für alle Menschen“, sagte Merkel auf dem Kirchentag. Auch Menschen in unterentwickelten Ländern hätten beispielsweise einen Anspruch auf eine gerechte Verteilung und Nutzung von Rohstoffen. „Damit müssen wir uns in den nächsten Jahren viel stärker auseinandersetzen.“

Merkel wollten im Bremer AWD-Dome rund 9.000 Kirchentagsbesucher hören. Sie diskutierte mit dem britischen Historiker Timothy Garton Ash über das Thema „Menschenwürde und Demokratie“. Garton Ash rief die EU-Staaten dazu auf, ihre Entwicklungshilfe stärker mit der Forderung nach Beachtung der Menschenrechte und guter Regierungsführung in den Empfängerstaaten zu verbinden. Die Länder der Union leisteten zusammen rund 60 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe.

Gröhe: Religionsunterricht an Schulen stärken

Der Staatsminister im Kanzleramt, Hermann Gröhe (CDU), forderte eine Stärkung des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen. Dieser sei eine „geistige Wurzelpflege“, so der CDU-Minister, der auch dem Rat der EKD angehört. Gerade die multireligiöse Gesellschaft fordere eine Kenntnis der eigenen Traditionen und nicht die „neutrale Distanz einer allgemeinen ethischen Betrachtung“. Außerdem fördere der Religionsunterricht mehr als das Fach Ethik das Interesse an anderen Glaubensrichtungen.

Nach Ansicht Gröhes hat die jüdisch-christliche Tradition die Gesellschaft in ihren Grundzügen geprägt. Biblische Erzählungen hätten wichtige Normen in den „Herzen und Köpfen der Menschen“ verankert. Als Beispiel nannte er die Geschichte vom barmherzigen Samariter, die zu Mitmenschlichkeit auffordere. „Das kann dem Staat nicht gleichgültig sein.“ Auch die Verfassung der Bundesrepublik erkenne dies an und sei deshalb „ausdrücklich nicht laizistisch ausgerichtet“, so der Jurist.

Schäuble: Christen sollten nicht nur Nein sagen

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte die Protestanten auf, positiver auf Neues in der Gesellschaft zu reagieren. Gott wolle, dass der Mensch Lust am Entdecken habe. Dies zeige sich an der biblischen Paradiesgeschichte, so Schäuble in einer Bibelarbeit. Nur ein einziger Baum sei im Paradies für die Menschen verboten gewesen. Alle anderen Früchte habe der Mensch erforschen dürfen. Schäuble warnte davor, dass das Christentum zu allen neuen und attraktiven Entwicklungen „Nein“ sage. Auch die Politik müsse sich davor hüten, zu viel zu verbieten, fügte Schäuble hinzu.

De Maizière: Kirche klingt wie der ADAC

Der Chef des Bundeskanzleramts in Berlin, Thomas de Maizière, übte deutliche Kritik am Stil kirchlicher Stellungnahmen. „Viele Äußerungen unterscheiden sich in Sprachgebrauch und Begründung nicht von denen des ADAC oder des Sportbunds“, antwortete der Minister beim Podium „Macht Spiritualität Macht?“ auf die Frage, wie Politik die Kirche wahrnehme. Zu 95 Prozent seien Stellungnahmen der Kirche zu politischen oder gesellschaftlichen Themen vorhersehbar. „Ich wünsche mir überraschendere und intelligentere Äußerungen, in denen jeder zweite Satz neu ist“, so de Maizière, der auch Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags ist.

„Selbstverteidigungskurs gegen Fundamentalisten“

Am Donnerstag gaben Theologen auf dem Kirchentag einen „Selbstverteidigungskurs gegen Fundamentalismus“. Dabei ging es vor allem um Rezepte für fruchtbare Diskussionen. Gerade Homosexualität sei ein Streitthema, das fast zu einer Kirchenspaltung geführt habe. Pastorin Hanne Köhler aus Flörsheim am Main empfahl: „Ich stelle Fragen wie: Warum fühlst du dich von Homosexuellen bedroht und begründest das mit der Bibel? Du isst doch auch Blutwurst, was laut Apostelgeschichte verboten ist.“ Es sei merkwürdig, das eine zu bekämpfen und mit dem anderen ein Problem zu haben.

Christen sollten bei Diskussionen ein paar Bibelstellen parat haben. Auch Kenntnisse zum historischen Kontext seien hilfreich. Dem Gegenüber sollte man aber Barmherzigkeit und Verständnis zeigen: „Oft haben fundamentale Christen einfach Angst vor Sex, vor Gott, vor der eigenen Schuld“, sagte Pfarrer Christian Reiser aus Stuttgart: „Und wer Angst hat, braucht Orientierung.“ Wer kein offenes Ohr für kritische Bibelauslegung hat, der traue seinem eigenen Glauben an Gott nicht: „Denn wo Gottes Geist wirkt, da herrscht Freiheit!“

Ein reiner Schlagabtausch mit Bibelstellen sei aber nicht erstrebenswert. Vielmehr sollte man den Geist der Bibel als ganzes sehen und gemeinsam darauf vertrauen, dass bei Gott nichts unmöglich ist. (PRO)

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