Kirchen kritisieren EU-Beschluss zur Asylpolitik

Bis in die frühen Morgenstunden haben die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel getagt – und eine vorläufige Einigung in Sachen Flüchtlingspolitik erzielt. Doch die sieht eine Verschärfung des Asylrechts vor. Das sehen viele Kirchenvertreter kritisch. Die Stimmen im Überblick.
Von PRO
Geflüchtete an der EU-Außengrenze suchen verzweifelt nach Hilfe. Die EKD ruft nun die EU-Staaten auf, Menschen aufzunehmen.

Anlässlich des EU-Gipfels zur Asylpolitik in Brüssel haben sich verschiedene Kirchenvertreter rund um die Themen Migration und Asylrecht geäußert. Die Regierungschefs waren am Freitagmorgen nach langen Verhandlungen zu einem gemeinsamen Dokument gekommen.

Dieses sieht vor, außerhalb der EU – vor allem in Nordafrika – sogenannte „Ausschiffungsplattformen“ einzurichten, in denen Flüchtlinge aufgenommen werden, solange ihr Anspruch auf Asyl in Europa geprüft wird. Solche Zentren solle es zum Teil auch innerhalb der EU geben – das ist vor allem eine Maßnahme gegen die sogenannte „Dublin-Regelung“, die vorsieht, dass dasjenige europäische Land, welches ein Flüchtling zuerst betreten hat, für dessen Asylverfahren zuständig ist. So sollen vor allem Mittelmeerstaaten wie Italien entlastet werden.

Außerdem soll das Dokument die sogenannte „Sekundärmigration“, also die Weiterreise eines Flüchtlings von einem europäischen Land in das nächste, eindämmen. Dafür sollen die Mitgliedsstaaten enger zusammenarbeiten. Unklar ist noch, ob dies der CSU in der deutschen Regierungskrise als Zugeständnis ausreicht.

EKD verweist auf Menschenrechte

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) begrüßte „den erkennbaren Einigungswillen“ der in Brüssel zusammengekommenen Regierungschefs, mahnte aber auch zur „Einhaltung von Standards einer solidarischen und menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik“. In dieser gebe es nur europäische Lösungen, sagte der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Im Bezug auf die deutsche Regierungskrise rief der Rat dazu auf, „parteipolitisch verhärtete Streitigkeiten in der Flüchtlingspolitik beizulegen“, heißt es in einer Erklärung der EKD. Die Debatte müsse „deeskaliert und versachlicht“ werden.

Der Konsens des Gipfels dürfe sich nicht auf „immer restriktivere Abwehrmaßnahmen“ beschränken. Es sei stattdessen ein Gebot der christlichen Nächstenliebe, schutzsuchende Menschen „nicht ihrem Elend zu überlassen“. Ein bloßes „Loswerden“ sei mit der Menschenwürde unvereinbar.

EKD-Rat sieht Ausschiffungsplattformen kritisch

Stattdessen müsse es „ein gemeinsames Anliegen sein, ein solidarisches und funktionierendes System für die Aufnahme von Flüchtlingen zu schaffen“. Das sieht der Rat mit den geplanten „Ausschiffungsplattformen“ nicht gegeben. Es gebe „bisher keinerlei Grundlage zu glauben, dass solche Einrichtungen zu schaffen seien, ohne grundlegende humanitäre und rechtliche Überzeugungen […] zu verletzen“.

An der EU-weiten Reform des Asylrechts müsse weiter gearbeitet werden. Es gehe darum, „Solidarität und Verantwortung bei der Flüchtlingsaufnahme gerecht auszutarieren und möglichst hohe Verfahrens- und Aufnahmestandards europaweit zu etablieren“. Man dürfe mit der Flüchtlingsfrage keine Ängste schüren, die den deutschen und europäischen Zusammenhalt gefährden.

„Alle, die die Auseinandersetzung über die Migrations- und Flüchtlingspolitik mit Maximalforderungen verschärfen, rufen wir dazu auf, Kompromissbereitschaft zu zeigen. Wir unterstützen nach Kräften all diejenigen, die auf der Suche nach tragfähigen Lösungen die Achtung der Menschenwürde höherstellen als jedes politische Kalkül“, gab der Rat bekannt.

Diakonie ist skeptisch

Auch die zur evangelischen Kirche gehörende Diakonie bezog zu dem Thema Stellung – und zeigte sich kritischer als ihre Mutterorganisation. Es sei fatal, „wenn verstärkter Grenzschutz und Kooperation mit undemokratischen Drittstaaten den kleinsten gemeinsamen Nenner bilden“, sagte der Präsident des Werks, Ulrich Lilie. Die Zurückweisung Asylsuchender an den Grenzen verstoße gegen die Menschenrechte.

Die Diakonie bedauere, dass die Verhandlungen über eine Reform des Asylrechts auf dem Brüsseler Gipfel „ein vorläufiges Ende“ gefunden habe. „Diese Schicksalsfrage der EU […] kann nicht mit Ultimaten entschieden werden. Eine verantwortliche und tragfähige Antwort heißt: Besonnenheit und Rückkehr zur humanitären Sachpolitik“, urteilt die Diakonie in ihrer Presseerklärung.

Die Diakonie ist mit rund 525.000 Beschäftigten nach dem Staat und der katholischen Caritas der drittgrößte Arbeitgeber Deutschlands.

Käßmann: Flüchtlingsdebatte ist „einseitig“

Auch die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, äußerte sich kritisch über die „Einseitigkeit“ der Flüchtlingsdebatte. „Was die Politik betrifft, finde ich es im Moment bedrückend, dass über Flüchtlinge nur noch als Problem geredet wird und ihr Schicksal keine Rolle mehr spielt“, sagte sie in Hannover. Außerdem würden so andere wichtige Themen wie Kinderbetreuung oder sozialer Wohnungsbau aus dem Blick verloren.

Zur Rolle der EKD äußerte Käßmann – die am kommenden Samstag in den Ruhestand verabschiedet wird – den Wunsch, „dass sie sich weiter politisch einbringt und sich nicht in eine private Nische abdrängen lässt“.

Freikirchen: Politik handelt egoistisch

Deutliche Worte fand auch die Vereinigung Evangelischer Freikirchen e. V. (VEF). Ohne direkt Bezug auf die Gipfelergebnisse zu nehmen, forderte sie eine humane europäische Flüchtlingspolitik. Das gab die VEF in einer Erklärung unter Federführung von Präsident Christoph Stiba und dem Beauftragten am Sitz der Bundesregierung, Peter Jörgensen, bekannt.

Die Mitteilung konstatiert dem Kontinent eine „erschreckende Geisteshaltung“: „Eigene Interessen werden über den Schutz von Menschen gestellt […]. Das Recht auf Asyl wird ausgehöhlt.“ Europa stehe „wie noch nie seit dem zweiten Weltkrieg in der Gefahr, sein eigenes Wertefundament und das der internationalen Staatengemeinschaft aufzugeben“.

„Europa ist dabei, seine Seele zu verkaufen“

Diese Haltung widerspreche dem Evangelium der Liebe Gottes sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem deutschen Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention. „Wo Menschen aus Umständen, die diesen menschenrechtlichen Maßstäben nicht entsprechen, fliehen, tun sie dies daher zu Recht“, urteilt die Erklärung der VEF.

„Die europäische Staatengemeinschaft ist derzeit jedoch dabei, sich aus diesem weltweiten und wohlbegründeten Rechts- und Wertekonsens zu lösen“, kritisiert der VEF. Grenzschutz sei ein im Kern legitimes Anliegen, die Abschottung gegen Menschen in Not jedoch „menschenverachtend“. Europa sei dabei, „seine Seele zu verkaufen“.

Es müsse nun alles daran gesetzt werden, den Menschenrechten weltweit zur Geltung zu verhelfen. Man müsse internationale Humanitätsstandards und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung fördern. „Solange diese nicht erreicht sind, muss Europa mindestens denen Schutz bieten, deren Leben bedroht ist.“

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