Kirche zwischen Anpassung und Wagenburg

Der katholische Publizist Andreas Püttmann hat bei den Kirchen eine religiöse Lethargie konstatiert. Den Christen im Land mangele es an Überzeugungskraft. Dies sagte er bei einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und der Akademie des Bistums Mainz.
Von Johannes Blöcher-Weil
Andreas Püttmann vermisst bei den beiden großen Kirchen die Überzeugungskraft

Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann hat den beiden großen Kirchen „erdrutschartige Verluste“ bei der jüngeren Generation attestiert. Bei der Tagung „Aus dem Glauben Gesellschaft gestalten“ der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und der Akademie des Bistums Mainz am Freitag verwies der Publizist auf Studien des Theologen Detlef Pollack. Dieser geht davon aus, dass das Handeln der Kirchen für ihre Attraktivität nur eine kleine Rolle spielt und der Rückgang eher durch kirchenexterne Faktoren verursacht ist.

Dennoch schätzten viele Menschen die Kirche als Rückzugssort. Etwa die Linken-Politiker Oskar Lafontaine, der die Kirchen als Bollwerk gegen den rasanten Werteverfall bezeichnet, und Gregor Gysi, der als Nicht-Gläubiger seine Angst vor einer gottlosen Gesellschaft geäußert habe. Viele Bürger schätzten nach Püttmanns Ansicht die Geborgenheit in der Mehrheitskultur.

Auf die Kirche nur im Notfall zurückgreifen

Püttmann verwies auf aktuelle Studien, nach denen sich 15 Prozent der Deutschen als religiöse Skeptiker und Atheisten bezeichneten. Fast doppelt so viele Deutsche seien konfessionslos. „Selbst viele Nicht-Religiöse nehmen Atheismus als Bedrohung wahr“, betonte er. Die Menschen begegneten Kirche mit pragmatischem Desinteresse. Die Bevölkerung neige mehrheitlich dazu, die Kirchen als Anwälte des Unverfügbaren zu sehen, die nicht zur Bewältigung der Alltagsprobleme taugten. Ein Teil der Gesellschaft lebe nach dem Motto „Religion ist gut – für die anderen“.

In Bezug auf die Kirchen zeichneten sich zwei Versuchungen ab, die Hans Conrad Zander („Zehn Argumente für den Zölibat. Ein Schwarzbuch“) anschaulich beschrieben habe: „Je tiefer wir absinken in die kognitive Minorität, desto mehr gerät unsere Kirche in eine spastische Bewegung. Angstvoll starrend auf das, was die Welt, was die kognitive Mehrheit von ihr hält, versucht sie abwechselnd, sich in ihre abseitig und komisch gewordene Identität trotzig einzubunkern, dann wieder versucht sie, ihrer Komik zu entfliehen, indem sie sich, mit enormem theologischem Wortgeklingel, ,liberalisiert’“.

„Wenn christliche Positionen an Einfluss verlieren, spricht das nicht gegen eine ‚Demokratie ohne Wahrheit‘, sondern gegen Christen ohne Überzeugungskraft“, erklärte Püttmann. Die Bereitschaft zum sozialen Engagement sei dennoch unter religiös gebundenen Personen höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. „Gläubige Christen bringen nicht nur ‚Glaubensbrüdern’ ein hohes Vertrauen entgegen; auch ihre Vertrauenswerte gegenüber Konfessionslosen sind höher als die der Konfessionslosen selbst“, verwies Püttmann auf den Bertelsmann-Religionsmonitor.

Zum Wahlverhalten in Deutschland erklärte Püttmann, dass Christen in der Bundesrepublik stets unterdurchschnittlich radikale Randparteien gewählt hätten. Die AfD würden derzeit nur drei bis vier Prozent der kirchennahen Christen wählen, aber 16 Prozent der Kirchenfernen und 23 Prozent der Konfessionslosen. Püttmann sieht die Kirche als die sozial prägende Kraft. Der biblische Anspruch vom „Salz der Erde“ werde zumindest ein Stück weit eingelöst. Insofern lebt der freiheitlich-demokratische Staat zwar nicht mehr nach den Weisungen der Kirche, aber immer noch „von Früchten ihrer geistlichen Existenz“, zitierte Püttmann den CDU-Politiker und ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundestages, Hermann Ehlers.

Von: Johannes Weil

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