Kirche streitet mit AfD über Integration

Einen Schlagabtausch darüber, ob und wie Integration gelingen kann, hat sich der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, am Montag mit Vertretern der AfD geliefert. Es war eine der wenigen öffentlichen Debatten zwischen Kirchenvertretern und der rechten Partei.
Von Anna Lutz
„Wir müssen miteinander reden": (v.l.) Johann Hinrich Claussen, Olaf Zimmermann, Marc Jongen

Die Termine, bei denen AfD-Politiker öffentlich und auf großer Bühne mit Kirchenvertretern diskutieren, sind rar gesät. Auf dem kommenden Kirchentag soll die Partei auf Geheiß der Organisatoren nicht bei Podien mitwirken. Wegen rassistischer Aussagen und verfassungsfeindlicher Inhalte wolle man den Rechten keine Bühne bieten, teilte das Präsidium im September mit. Der Berliner Bischof Markus Dröge lieferte einen denkwürdigen Auftritt auf dem letztjährigen Kirchentag in Berlin, bei dem er auf die damalige Vorsitzende der Christen in der AfD, Anette Schultner, traf. Seitdem verweigert auch er den publikumswirksamen Streit mit den Rechten. Er begründet das mit einer „verzerrenden Kommunikationsstrategie“ der AfD und mangelnder Distanz der Leitungsebene zum „rechtsextremen Flügel“.

Umso bemerkenswerter ist, was sich am Montagabend in einer der Liegenschaften des Deutschen Bundestages mitten in Berlin abspielte. Auf Einladung der AfD-Bundestagsfraktion diskutierte der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, mit Vertretern der Partei. Marc Jongen, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, und Martin E. Renner, deren medienpolitischer Sprecher, wollten mit ihm über das Thema Integration sprechen. Mit dabei war auch der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, nach eigenen Angaben ebenfalls Christ. Er betonte, er habe der Debatte zugestimmt, weil man miteinander reden müsse „auch dann, wenn es weh tut“.

Thema des Abends war eine 2017 von ihm angeregte Initiative zur „kulturellen Integration“. In 15 Thesen stellen die Unterstützer ihre Sicht auf das Thema vor. Sie fordern einerseits, dass das Grundgesetz und Geschlechtergerechtigkeit Grundlage des Zusammenlebens in Deutschland sein müssen, stellen aber auch fest, dass kulturelle Vielfalt in ihren Augen eine Stärke ist und kulturelle Gepflogenheiten dem Wandel unterliegen. Einwanderung und Integration gehören zur deutschen Geschichte, so eine weitere These. Und: Religion gehöre in den öffentlichen Raum. Zu den Unterstützern zählen neben verschiedenen Ministerien auch die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz und der Zentralrat der Juden.

„Zuvörderst das Land der Deutschen“

Ein entsprechender Arbeitskreis der AfD-Fraktion wandte sich mit einer Stellungnahme gegen die Thesen der Initiative. Darin kritisieren die Politiker die Nutzung des Wortes Geschlechtergerechtigkeit als ein aus der „Ideologie des Gender Mainstreaming“ hergeleitetes Konzept der „Gleichmacherei“. Auch Religionen dürften nicht gleichgesetzt werden, ein fundamentalistischer Islam biete keinen Raum für Freiheit. Jongen und Renner werfen der Initiative vor, Integrations- und Einwanderungsprobleme nicht zu benennen und zu verharmlosen. Deutschland sei „zuvörderst das Land der Deutschen“. Willkommen sei, wer sich vorbehaltlos in die deutsche Kultur integriere.

Jongen kritisierte am Montag, dass unterschiedliche Kulturen in dem Papier als gleichwertig angesehen würden und der deutschen keine besondere Stellung eingeräumt werde. Für problematisch halte er es, dass eine „Assimilation“ der Zugezogenen für die Verfasser kein Wert an sich sei. Das Papier blende Probleme mit dem Islam aus, indem es die Religionen generell als gleichwertig ansehe. Renner kritisierte, dass der Islam selbst in den Thesen nicht benannt werde, dabei stehe er in „konträrem Verhältnis“ zur Integration. Er sei nicht gleichwertig mit etwa dem Christentum, weil er keine Aufklärung durchlebt habe und die Freiheit des Individuums nicht zulasse. Renner plädierte deshalb für Einschränkungen bei der Freiheit von Muslimen, ihre Religion in Deutschland auszuüben.

Religionsfreiheit ist spezifisch deutsch

Claussen von der Evangelischen Kirche sagte, Deutschland sei ein Einwanderungsland und mit dieser Diversität sei umzugehen. Wege der Verständigung müssten gefunden werden. Die AfD hingegen verschwende Zeit darauf, „die bösen Linken darauf hinzuweisen, dass sie verblendet sind“. Es gelinge der Partei nicht, klar zu machen, was deutsche Kultur denn überhaupt sei. Er selbst halte es für „spezifisch deutsch“, Religionen die Gelegenheit zu geben, sich öffentlich zu entfalten und als Teil der Zivilgesellschaft aufzutreten. Das sei „eine besondere Lernerfahrung des 30-jährigen Krieges“. Das Problem ist seiner Meinung nach der Fundamentalismus, nicht die Religion selbst. Die AfD hingegen erkläre deterministisch, dass Muslime sich generell nicht positiv integrieren könnten.

Zimmermann erklärte: „In den letzten 2.500 Jahren leben wir hier in Deutschland mit Einwanderung.“ Nur so habe das Land werden können, was es heute ist. Zuwanderung sei also „richtig und wichtig“. Zu dieser Entwicklung gehöre es, dass Deutschland Religionen anerkenne, „besonders die der anderen“. Christen, Juden und Muslime müssten in ihren Gotteshäusern beten können. „Das dürfen Sie nicht einfach, nur weil es Ihnen Spaß macht, beiseite schieben“, sagte er in Richtung der AfD-Vertreter. In Richtung von Jongen und Renner sagt er, es sei frech, dem Islam vorzuwerfen, nicht verfassungskonform zu sein, „wenn Sie selbst kurz davor stehen, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden“. Bei aller Kritik und gelegentlichen Zwischenrufen aus dem Publikum stellte er noch einmal fest, was auch als Fazit unter den 15 Integrationsthesen stehen könnte und den Hergang des Abends besser erklärt als jede theoretische Entscheidung von Präsidien und Leitungsgremien: „Wir müssen miteinander reden.“

Von: Anna Lutz

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