Damals, so Neubert, sei Kirche als Freiraum notwendig gewesen. "Heute
ist sie, politisch gesehen, nur ein Ort, wo alle über Parteigrenzen
hinweg miteinander reden können." Die Pfarrer heute müssten Religion von
Politik trennen – "es sei denn, das Maß des Unerträglichen ist voll".
Dies sei dann der Fall, wenn das "geltende Recht Ungerechtigkeit
befestigt". Luthers Aufsässigkeit gegen die Oberen habe stets nur ein
Ziel gehabt: das Reich Gottes.
Der DDR-Sozialismus habe aus dem Auftrag der Kirche sich um Schwache zu kümmern eine Ideologie abgeleitet und Gerechtigkeit auf die soziale Frage verkürzt. "Die christliche Erlösungshoffnung ist eine andere, denn sie beruht auf dem Glauben, dass es Gerechtigkeit nur bei Gott gibt. Von dort wirkt sie auf uns zurück. Aber wenn Sie alles für die Gerechtigkeit tun, dann entsteht das, was Christen eben nicht ausüben sollen: Gewalt."
Eine fatale Nähe zum Staat
"Weil wir die Kirche als Heilsmittler geschwächt haben, sehnen wir uns nach einer Institution, an die wir uns anlehnen können", sagte der Theologe in dem Interview. Deshalb habe der Protestantismus immer wieder eine fatale Nähe zum Staat entwickelt und die Kirche in Deutschland zu Recht einen Legitimationsverlust erlitten.
Diejenigen, die sich der Kirche oder der Friedensbewegung anschlossen, mussten nicht gläubig sein: "Die 89er Friedensgebete in diesen kleinen abgekapselten Kirchen oder in den großen überfüllten machten den Raum ungeheuer weit. Bis hinauf in den Himmel ragte er und bis hinab in die Hölle. Das spürten auch Atheisten." Ein großes Problem für ihn als Pfarrer sei es gewesen, in einer aufbegehrenden Gesellschaft Gewaltfreiheit zu predigen, also zwischen Opposition und den Herrschenden zu vermitteln.
Neubert erzählt im Interview, wie die Kirchenoberen noch im Juni 1989 die Demonstrationen abgelehnt hatten: "Dieses Bremsen entsprach wohl auch der protestantischen Mentalität. Angst vor Chaos und Destabilisierung." Erst im September 1989 sei die Amtskirche dann endlich auf Konfrontationskurs zum Staat gegangen. Neubert selbst reiste in dieser Zeit durch die ganze Republik, um die – geschätzten – 2.500 Oppositionellen zu vernetzen und für Grundfreiheiten aller Art zu kämpfen.
Für das eigene Erleben in der Wendezeit wählt der Theologe offene Worte: "Die Herbstgesellschaft damals war voller Illusionen. Ich habe mich auch enteignet und entmündigt gefühlt von den Wessis, also von der CDU, die uns schluckte." Die Zustimmung für Joachim Gauck als Kandidat für das Bundespräsidentenamt habe ihn gefreut, weil "einer aus der Kirche so breite Zustimmung erfuhr". Gemeinsam mit ihm ist Neubert Mitherausgeber der 1998 erschienenen deutschsprachigen Ausgabe des "Schwarzbuches des Kommunismus".
Ehrhart Neubert gehörte als evangelischer Theologe in der DDR zu den aufsässigsten Bürgerrechtlern. Er wuchs in einem thüringischen Pfarrhaus in der Nähe der innerdeutschen Grenze auf. Dort erlebte er früh die Problematik der zwangsweisen Umsiedlungen. In seinem Abiturjahrgang war er das einzige Nicht-FDJ-Mitglied: "Ich wollte mich wehren, und so habe ich Theologie studiert, obwohl es Kirchenleute gab, die es gar nicht mochten, dass einer Ärger machte."
Der 70-Jährige wurde kürzlich für sein im Piper-Verlag erschienenes Buch "Unsere Revolution" ausgezeichnet. In Berlin leitet Neubert ein Bürgerbüro für Opfer der Diktatur, das sich mit Folgeschäden politischer Haft beschäftigt. Neubert saß lange Zeit in der Grundwertekommission der CDU. (pro)
Eine fatale Nähe zum Staat
"Weil wir die Kirche als Heilsmittler geschwächt haben, sehnen wir uns nach einer Institution, an die wir uns anlehnen können", sagte der Theologe in dem Interview. Deshalb habe der Protestantismus immer wieder eine fatale Nähe zum Staat entwickelt und die Kirche in Deutschland zu Recht einen Legitimationsverlust erlitten.
Diejenigen, die sich der Kirche oder der Friedensbewegung anschlossen, mussten nicht gläubig sein: "Die 89er Friedensgebete in diesen kleinen abgekapselten Kirchen oder in den großen überfüllten machten den Raum ungeheuer weit. Bis hinauf in den Himmel ragte er und bis hinab in die Hölle. Das spürten auch Atheisten." Ein großes Problem für ihn als Pfarrer sei es gewesen, in einer aufbegehrenden Gesellschaft Gewaltfreiheit zu predigen, also zwischen Opposition und den Herrschenden zu vermitteln.
Neubert erzählt im Interview, wie die Kirchenoberen noch im Juni 1989 die Demonstrationen abgelehnt hatten: "Dieses Bremsen entsprach wohl auch der protestantischen Mentalität. Angst vor Chaos und Destabilisierung." Erst im September 1989 sei die Amtskirche dann endlich auf Konfrontationskurs zum Staat gegangen. Neubert selbst reiste in dieser Zeit durch die ganze Republik, um die – geschätzten – 2.500 Oppositionellen zu vernetzen und für Grundfreiheiten aller Art zu kämpfen.
Für das eigene Erleben in der Wendezeit wählt der Theologe offene Worte: "Die Herbstgesellschaft damals war voller Illusionen. Ich habe mich auch enteignet und entmündigt gefühlt von den Wessis, also von der CDU, die uns schluckte." Die Zustimmung für Joachim Gauck als Kandidat für das Bundespräsidentenamt habe ihn gefreut, weil "einer aus der Kirche so breite Zustimmung erfuhr". Gemeinsam mit ihm ist Neubert Mitherausgeber der 1998 erschienenen deutschsprachigen Ausgabe des "Schwarzbuches des Kommunismus".
Ehrhart Neubert gehörte als evangelischer Theologe in der DDR zu den aufsässigsten Bürgerrechtlern. Er wuchs in einem thüringischen Pfarrhaus in der Nähe der innerdeutschen Grenze auf. Dort erlebte er früh die Problematik der zwangsweisen Umsiedlungen. In seinem Abiturjahrgang war er das einzige Nicht-FDJ-Mitglied: "Ich wollte mich wehren, und so habe ich Theologie studiert, obwohl es Kirchenleute gab, die es gar nicht mochten, dass einer Ärger machte."
Der 70-Jährige wurde kürzlich für sein im Piper-Verlag erschienenes Buch "Unsere Revolution" ausgezeichnet. In Berlin leitet Neubert ein Bürgerbüro für Opfer der Diktatur, das sich mit Folgeschäden politischer Haft beschäftigt. Neubert saß lange Zeit in der Grundwertekommission der CDU. (pro)