„Schaut nach vorne, denn ich will etwas Neues tun! Es hat schon begonnen, habt ihr es noch nicht bemerkt“ (Jesaja 43,19). Mit diesem Bibelwort eröffnete Nick Ahialey-Mawusi von der Living Generation Church aus Hamburg eine Diskussion auf dem Kirchentag. Diese stand unter dem Leitmotiv: „Wie wird Kirche ein Ort echter Teilhabe?“ Denn Ayale-Mawusi sieht momentan kulturelle und ethnische Spaltungen in der Kirche. Seine Kirche wirke jedoch dagegen: „Wir sind eine postmigrantische, transkulturelle und generationenübergreifende Gemeinde“, sagte Ayale-Mawusi.
Das Evangelium „bricht alle Formen von Barrieren auf“, betonte er. Sidney Oliveira, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und Mitglied der Living Generation Church, ergänzte, dass die Kirche die hybride Realität einer postmigrantischen Gesellschaft widerspiegeln und neu verhandeln müsse, wie sie aussehen will.
Die Pastorin der baptistischen Gemeinde in Berlin-Schöneberg, Dagmar Wegener, sprach über die gelebte Offenheit in ihrer Gemeinde. „Bei Gott sind alle willkommen.“ Das Ziel der baptistischen Gemeinde sei, sich aktiv gegen Rassismus und Ausgrenzung zu stellen und gegen die Diskriminierung queerer Menschen die Stimme zu erheben. „Wir brauchen Vielfalt, damit der Leib Christi wirklich Leib Christi ist“, sagte sie. Außerdem baue sie darauf, dass Gott ein Gott ist, der Barrieren aufbreche – auch in den Köpfen und Herzen der Menschen.
Menschen können strukturelle Formen in Kirchen verändern
„Wir haben uns nicht integriert, sondern emanzipiert“, sagte der Projektleiter und Gemeindepädagoge der Jugendkirche Haldensleben, Robert Neumann. Er habe erlebt, wie sich junge Menschen ihren Platz in der Kirche selbst geschaffen haben, nicht am Rand, sondern im Zentrum des Gemeindelebens. „Was früher als klassische Bildungsarbeit galt, ist heute Ausdruck lebendigen Glaubens und gelebter Gemeinschaft“, erklärte Neumann. Dabei gehe es nicht um Anpassung an bestehende Strukturen, sondern um die Anerkennung jugendlicher Perspektiven als Teil der Vielfalt, die die Kirche ausmacht „Deshalb sprechen wir nicht mehr von Jugendarbeit, sondern von Jugendkirche“, sagte Neumann. Jugendliche seien Teil der Kirche und würden mit ihrer individuellen Sprache, individuellen Fragen und ihrer Art zu glauben, Kirche mitgestalten.
Der Religionspädagoge und Mitinitiator des Vereins „Out in Church“, Jens Ehebrecht-Zumsande, betonte, dass sich strukturelle Veränderungen nicht von allein vollziehen. Es brauche Menschen, die mutig vorangehen und ihre Angst vor Konflikten überwinden. „Konflikte sind kein Zeichen von Zerfall, sondern oft Ausdruck einer notwendigen Bewegung“, sagte er. Natalie Eleyth, Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum, kritisierte das mangelnde Wirken der Kirchen hinsichtlich rassismuskritischer Themen. Sie betonte: Wenn die Kirche zu Fragen von Rassismus, Feminismus oder Sexualität schweigt, überlässt sie anderen die Deutungshoheit über das Christliche.
Der Ruf nach einer Kirche für alle sei kein leises Gebet, sondern ein lautes Ringen, sagte Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD. Es gehe um Teilhabe, nicht um Symbolik. Um offene Räume, nicht um abgeschlossene Kreise. Und um eine Kirche, die mutig bleibt, auch wenn es unbequem wird.