Kirche 2.0 – Neue Wege in ein frisches Jahrtausend

Wie kann wieder frischer Wind in den Kirchengemeinden wehen? Über "neue Formen für die Kirche von heute" haben sich rund 700 Teilnehmer am ersten Tag der Konferenz "Gemeinde 2.0" in Filderstadt bei Stuttgart ausgetauscht. Vorbildfunktion hat hier vor allem die Kirche von England.
Von PRO

Die Konferenz für Gemeinde-Innovation lädt die Besucher von Freitag bis Samstag dazu ein, "frische Formen für die Kirche von heute" und neue Impulse und Initiativen kennenzulernen. Über 70 Seminare, Foren und Vorträge gehen der Grundfrage nach: "Wie gestaltet sich die Weitergabe des Evangeliums für Menschen im 21. Jahrhundert?" Veranstalter sind das Zentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland für Mission in der Region, das Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung, das Evangelische Jugendwerk in Württemberg, das christliche Netzwerk "Church Convention", der Kirchenbezirk Bernhausen sowie die Vineyard-Gemeinschaften in Württemberg. Durch die Tagung führen Elisabeth Nonnenmann, Mitglied in der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), und der Journalist, Theologe und Liedermacher Christoph Zehendner.

"Eine Kirche, die so bleibt, wie sie ist, verliert den Anschluss", mahnte Pfarrer Gottfried Heinzmann, Leiter des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg (ejw). Laut Michael Herbst vom Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) könnten konkrete Leitmotive etwa sein: "Mut zu Neuem, Bewahren der Fundamente, Humor, Experimentierfreude, Klarheit und Weite – und ein ansteckend fröhliches Kirchen-Wesen." Katrin Göring-Eckardt, Präses der 11. Synode der EKD und Mitglied des EKD-Rates, merkte in ihrem Grußwort an, dass die Kirche der Zukunft dadurch fit für das 21. Jahrhundert werden könne, "dass wir aktiv aufbrechen und ohne Angst und Beharren auf alten Strukturen der Zukunft fröhlich und gewiss entgegengehen. Das heißt, alles prüfen und das Gute behalten, kreativ sein und neue spannende Wege finden, das Evangelium unter die Leute zu bringen."

"Mitglieder sollen sich beteiligen"

Rainer Kiess, Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Bernhausen, wies auf die Parallele im Namen des Kongresses auf das "Web 2.0" hin: "Das Web 1.0 wurde weiterentwickelt. Wir sind nicht mehr im 20. Jahrhundert." Ebenso müsse sich die Kirche weiterentwickeln, so Kiess. "Wir möchten mit dem Kongress Impulse geben, dass die Mitglieder sich beteiligen und Menschen erreichen, die sonst fern von der Kirche stehen."

Die Initiatoren haben besonderen Wert darauf gelegt, die Kirche von Engand zum Vorbild zu nehmen. Die Anglikanische Kirche habe in den letzten zwei Jahrzehnten große Fortschritte unter dem Schlagwort "church planting" (Kirchengründung) gemacht. Frank Otfried July, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, findet vor allem die Einheit der Anglikanischen Kirche vorbildlich. "Wir können von der Kirche von England lernen, wie gemeinsame Gaben verknüpft werden können, auf dass die Menschen merken: Da passiert was." Auch die Leiterin der badisch-evangelischen Landeskirche, Karen Hinrichs, begrüßte die Anreize der "fresh expressions" aus England. "Wir können nur davon profitieren." Sie freue sich immer darüber, wenn Gemeinden aus Bewegungen in anderen Ländern wie der Schweiz oder Südafrika oder von "Willow Creek" aus Amerika lernten.

Zwei Bischöfe der Anglikanischen Kirche gaben auf der Tagung wertvolle Tipps für die deutschen Schwestergemeinden. Steven Croft, Bischof von Sheffield, mahnte an, dass Erneuerung von Gemeinden immer in den Herzen der Christen beginne. "Erfrischung der Gemeinde beginnt damit, dass wir uns an Jesus orientieren und uns von ihm erfrischen lassen." Croft selbst hat etwa bereits sehr erfolgreich Videos seiner Predigten bei YouTube hochgeladen. Als er in einer Episode näher auf ein Lied der britischen Sängerin Lily Allen einging, machte in der britischen Presse die Schalgzeile die Runde: "Bischof empfiehlt Lily Allen".

Croft sieht eine Quelle für die Veränderung der Gemeinde vor allem in einer Erneuerung des Rufes zur Mission. Am Beispiel Simons, den Jesus dazu aufrief, noch einmal auf den See zu fahren und an einer tieferen Stelle noch einmal zu fischen, machte der Bischof deutlich: "Manchmal ruft Gott uns dazu auf, aus dem Ort, wo wir uns wohlfühlen, herauszutreten und zu den Menschen zu gehen, die fern von der Kirche sind. Denn dort sind die Menschen, die Jesus besonders brauchen." Croft merkte an, dass nicht die Statistiken über die Zahl der Gemeindemitglieder die Motivation für Gemeindeerneuerung sein dürfe. "Wir müssen neu ergriffen werden vom Sohn Gottes. Darin besteht die Motivation, erneut hinaus zu gehen und die Netze im tiefen Wasser auszuwerfen", so Croft.

"Dieser Weg wird kein leichter sein"

Die englischen Gäste stellten in Videos einige Beispiele vor, wie neue Ideen in christlichen Gemeinden umgesetzt werden können. In Liverpool etwa hat eine Gemeinde eine Bäckerei ins Leben gerufen. Während des Brotbackens kommen Gespräche über persönliche Probleme und über den Glauben zustande. "Dies ist keine Kirche, dies ist ein Haus Gottes", sagte ein Obdachloser im Film anerkennend. Ein weiteres innovatives Gemeindeprojekt ist die "Skater-Gemeinde" namens "Legacy XS" in Benfleet. Hier können sich Jugendlichen mit ihren Skateboards und Fahrrädern austoben, aber gleichzeitig mit dem Glauben in Kontakt kommen. Ein Jugendlicher erzählte, dass er als Atheist zum christlichen Skaterpark kam, sich aber durch die Gespräche mit den Christen dort bekehrte.

Heinzpeter Hempelmann vom EKD-Zentrum Mission in der Region, Standort Stuttgart, erläuterte, wie moderne Milieuforschung Gemeinden dabei helfen kann, effektiver ihre Zielgruppen anzusprechen. Die Gesellschaft sei fragmentiert in unterschiedlichste Milieus, Lebensstile, Lebenswelten und Mentalitäten. Und auf diese müsse sich die Kirche einstellen, will sie weiterhin relevant bleiben. Hempelmann zeigte zehn verschiedene Milieutypen auf, mit der Soziologen seit einigen Jahren arbeiten. So gibt es etwa den Konservativen, den Liberal-Intellektuellen, den Sozialökologischen oder den Hedonisten. Der Graph, in dem diese Typen eingezeichnet sind, stammt vom Heidelberger Forschungsinstitut Sinus Sociovision und ist unter dem Namen "Kartoffelgrafik" bekannt. "Milieuforschung kann Gemeinden helfen, Lebenswelten zu verstehen, die ihr sonst verschlossen wären", sagte Hempelmann. So könnten Gemeinden  zielgruppenorientierte Angebote machen. Dabei ginge es nicht darum, sich für eine bestimmte Gruppe "zu verbiegen", sondern in der Gemeinde Menschen zu finden, die die für sie passende gesellschaftliche Gruppe am ehesten ansprechen können. Denn letztlich sei die Kirche ebenso fragmentiert und segmentiert wie die Gesellschaft. "Ekelschranken" müssten überwunden werden, dann könne ungeheures Potenzial freigesetzt werden, appellierte Hempelmann. "Grundsätzlich gibt es in jedem Milieu Kirchenmitglier. Die Frage ist: Wo sind sie? Warum kommen sie nicht zu uns?" Kirche könne nicht darauf hoffen, dass die Menschen zu ihr kommen, sondern müsse von sich aus auf die Menschen zugehen, so der Theologe. Er fügte hinzu: "Um es mit Xavier Naidoo zu sagen: Dieser Weg wird kein leichter sein…" (pro)

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