Kinderrechte im Grundgesetz: Evangelische Allianz skeptisch

Ehe und Familie werden durch das Grundgesetz unter den Schutz des Staates gestellt. CDU, CSU und SPD wollen darin nun zusätzlich die Rechte von Kindern festschreiben. Die Deutsche Evangelische Allianz mahnt zu Augenmaß bei der Ausgestaltung, und sieht darin auch Risiken.
Von PRO
CDU, CSU und SPD wollen die Rechte von Kindern im Grundgesetz festschreiben

Der Artikel 6 des Grundgesetzes stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Im Gesetzestext heißt es: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wollen die Koalitionäre die Rechte von Kindern weiter festschreiben. Nach dem Willen der Koalitionspartner sollen Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden und damit Verfassungsrang erhalten. „Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen“, heißt es in dem aktuellen Vertrag. Demnach sollen der Bund und die Länder über die genaue Ausgestaltung in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.

Derzeit keine „Schutzlücke“ erkennbar

Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) sieht in dem Bestreben „durchaus eine Chance“, Kindern und Familien bei politischen Entscheidungen Vorrang zu gewähren. „Allerdings erschließt sich uns die politische Notwendigkeit für eine Verfassungsänderung nicht“, erklärt Uwe Heimowski, Politikbeauftragter der DEA ,auf pro-Anfrage. „Kinder sind Menschen und alle Menschen haben einen umfassenden Grundrechtsschutz.“

Eine Anhörung 2013 im Deutschen Bundestag mit dem Direktor des Instituts für Staatsrecht, Verfassungslehre und Rechtsphilosophie der Universität Heidelberg, Bernd Grzeszick, habe unterstrichen, dass es in der Verfassung bei Kinderrechten „keine Schutzlücke gibt“. Auch die UN-Kinderrechtskonvention verpflichte demnach nicht zu einer Grundgesetzänderung, sagte Heimowski. Der Kinderschutz genieße schon heute einen hohen Rang gegenüber Staat und Eltern, und wenn man auf diesem Gebiet mehr tun wolle, dann solle man dies über einfache Gesetze machen.

Lufthoheit über den Kinderbetten

Heimowski appelliert, bei der Ausgestaltung mit großer Sorgfalt und Augenmaß zu handeln. „Durch eine Grundgesetzänderung darf das vorrangige Erziehungsrecht der Eltern nicht ausgehöhlt werden. Das ausgewogene Verhältnis zwischen Familien und staatlichem Wächteramt muss unangetastet bleiben“, sagte er. Die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ müsse bei den Eltern bleiben. „Die Eltern tragen die erste Verantwortung für das Wohl des Kindes“, sagte Heimowski.

Kinderrechte bestünden bereits – und das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach angemahnt, dass die Berücksichtigung der Erziehungsleistung in den Sozialversicherungssystemen konsequent umgesetzt werden müsse. Wer die Situation der Kinder nachhaltig verbessern will, der sollte nach Ansicht der DEA vor allem Familien stärken, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz fördern und eine stärkere personelle Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe vornehmen. Wenn das erfolge, müssten Kinderrechte nicht zu Lasten der Rechte von Eltern gehen.

Heimowski verweist auf das christliche Menschenbild und die katholische Soziallehre. Die spreche vom Prinzip der Subsidiarität. Demnach liege die Erziehungshoheit bei den Eltern. „Wenn dieses Recht geschwächt würde und die Balance in Richtung Staat kippt, richten sich die Kinderrechte plötzlich gegen die Eltern und damit potentiell gegen das Kindeswohl“, sagte Heimowski. Die Geschichte habe gezeigt, wohin staatliche Macht und Einflussnahme führen könnten, wenn Eltern und Kinder gegeneinander ausgespielt würden.

Der DEA-Politikbeauftragte fodert eine öffentliche Debatte über das Für und Wider, „damit man zu vernünftigen Ergebnissen kommt, die Kindern und Eltern zu Gute kommen“. Die DEA wünscht, dass in diesem Zusammenhang das Recht auf Leben der noch nicht geborenen Kinder endlich verwirklicht wird, auch der noch nicht geborenen behinderten Kinder. Ein Erbrecht stehe ihnen zu – das Lebensrecht bisher nicht. „Wenn sich das ändert, wäre es nur zu begrüßen“, sagte Heimowski.

Kinder- und Elternrechte nicht gegeneinander ausspielen

Ein EKD-Sprecher begrüßte am vergangenen Donnerstag, dass den Kinderrechten im Koalitionsvertrag „eine besondere Aufmerksamkeit“ gewidmet werde. „Kinder sind Träger von Grundrechten, sie können diese aber meist nicht selbst artikulieren und durchsetzen.“ Insofern bräuchten sie Fürsprecher und in manchen Fällen auch staatliche Akteure, die sich für ihre Anliegen stark machten. Dass der Koalitionsvertrag im Vorfeld der Gesetzesinitiative einen breiten Dialog mit Akteuren aus Wissenschaft und Praxis sowie Ländern und Kommunen vorsehe, sei ebenfalls begrüßenswert. „Dabei wird es auch darum gehen, Kinder- und Elternrechte nicht gegeneinander auszuspielen, sondern beide wechselseitig zu stärken“, hieß es von dem Sprecher.

Die evangelische Kirche werde sich an dem Dialog mit ihrer Expertise beteiligen. Wenn jedes fünfte Kind in Deutschland unter Bedingungen des Armutsrisikos lebt, müsse die Debatte konkrete Antworten darauf geben, wie dieser Missstand beseitigt werden könne.

Kindeswohl soll im Vordergrund stehen

Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt auf Anfrage von pro ausdrücklich, dass die explizite Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Es sei an der Zeit, mit der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz die Position der Kinder im deutschen Rechtssystem zu stärken und ein klares Signal für mehr Kinderfreundlichkeit in Deutschland zu geben. Mehr als 25 Jahre nach Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Vereinten Nationen müsse sich das Prinzip dieser Konvention auch im Grundgesetz wiederfinden. „Bislang fehlt dort der Gedanke, dass Kinder gleichberechtigte Mitglieder unserer Gemeinschaft, eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde und dem Anspruch auf Anerkennung ihrer Individualität sind“, erklärt Pressesprecher Uwe Kamp.

Kinder seien keine kleinen Erwachsenen, sie bräuchten über die allgemeinen Grundrechte hinaus besondere Rechte. Deshalb sollten die Kinderrechte auf Förderung, Schutz und Beteiligung sowie der Vorrang des Kindeswohls bei allem staatlichen Handeln im Grundgesetz festgeschrieben werden. Dies würde sich bei der Planung und Gestaltung in allen Politikfeldern positiv auswirken.

Keine Schwächung der Elternrechte

Kinderrechte könnten nach Kamps Ansicht in das Grundgesetz aufgenommen werden, ohne das grundsätzliche Verhältnis von Kindern, Eltern und Staat anzutasten. Eine Stärkung der Rechte von Kindern führe nicht automatisch zu einer Schwächung der Rechte von Eltern. „Im Gegenteil“, sagte Kamps. Die Eltern erhielten dadurch bessere Möglichkeiten, die Rechte ihrer Kinder gegenüber staatlichen Einrichtungen durchzusetzen. „Die Unterstützung von Kindern durch ein Kindergrundrecht soll nicht erst dann greifen, wenn die Versorgung der Kinder durch die Eltern problematisch wird, wenn beispielsweise das Kindeswohl gefährdet ist“, erklärt Kamps. Vielmehr sollten die Eltern mit einem Kindergrundrecht bei ihrem Erziehungsauftrag unterstützt werden.

Das Deutsche Kinderhilfswerk würde es sehr begrüßen, wenn der Gesetzgeber den Vorschlag des Aktionsbündnisses Kinderrechte (Deutsches Kinderhilfswerk, Deutscher Kinderschutzbund, Unicef Deutschland in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind) aufgreifen würde.

Linke sieht keinen Eingriff in Rechte der Eltern

Aus Sicht von Norbert Müller, dem kinder- und jugendpolitischen Sprecher der Linken im Bundestag, finden die besonderen Bedürfnisse und Interessen von Kindern und Jugendlichen, aus denen sich kinderspezifische Rechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung ableiten, im Grundgesetz bisher keine Erwähnung. „Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass die Forderung nach Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz Teil des Koalitionsvertrages ist“, erklärte Müller auf Anfrage von pro.

Die Rechte von Eltern und der besondere Schutz der Familie seien im Grundgesetz bereits verankert. Allerdings fehle bisher eine Würdigung der besonderen Rechte und Interessen von Kindern, wie sie beispielsweise in der UN-Kinderrechtskonvention oder der Europäischen Grundrechtecharta festgeschrieben sind. „Insofern sehe ich in einer ausdrücklichen Erwähnung der Kinderrechte im Grundgesetz keinen Eingriff in die Rechte der Eltern oder den Schutz der Familie, sondern eine Klarstellung hinsichtlich eines Vorrangs der Kindesinteressen bei allen Entscheidungen, die Kinder direkt oder indirekt betreffen“, erklärte der Linken-Politiker.

Kinder- und Elterninteressen einander gegenüberzustellen, hält Müller nicht für zielführend. „Was ich in diesem Bereich den Kindern und Jugendlichen gebe, nehme ich den Eltern nicht weg. Im Gegenteil, ich bin der festen Überzeugung, dass auch Eltern von einer kindergerechten Welt profitieren würden. Wozu die Kinderrechte im Grundgesetz ein weiterer Baustein wären.“

Nach Ansicht Müllers sollte eine entsprechende Formulierung im Gesetz sowohl das Recht auf eine bestmögliche Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes, auf den Schutz vor Gewalt und anderen Gefährdungen, sowie das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe enthalten. Zudem sollten nach Ansicht Müllers das Recht auf Gehör des Kindes und als Maßstab für Entscheidungen, die Kinder betreffen, der Vorrang des besten Interesses des Kindes verankert werden.

Von: Norbert Schäfer

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