Der dreieinhalbjährige Max steht vor der Kindergartentür. Er möchte gerne hineingehen und mit den anderen spielen, darf aber nicht. „Du kannst da nicht reingehen, aber das verstehst Du jetzt noch nicht“, antwortet die Mutter. Sie hat Max nach wenigen Monaten vom Kindergartenbesuch wieder abgemeldet. Ihre Begründung: Die Familie könne das Essens- und Getränkegeld von monatlich 25 Euro nicht bezahlen. Die Köchin Gabriele und der Kraftfahrer Joachim F. leben seit zehn Jahren von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. 1.100 Euro erhält die Familie monatlich, die Summe beinhaltet auch 208 Euro Kinder- und Sozialgeld für Max. Davon sind 1,07 Euro pro Tag für Nahrungsmittel vorgesehen. Eine Schul- oder Kindergartenmahlzeit kostet aber durchschnittlich 2,50 Euro.
Die MDR-Kamera zeigt, wie Max weiter quengelt: „Will aber in den Kindergarten gehen.“ Das hilft ihm nichts, denn seine Eltern haben andere Prioritäten gesetzt – obwohl Max bereits einen bezuschussten Kindergartenplatz hatte. Dafür hat der Kleine jetzt einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer. Es ist der alte Röhrenfernseher aus dem Wohnzimmer. An dessen Stelle steht ein nagelneuer Flachbildschirm, im Versandhaus mittels Ratenzahlung gekauft.
Für den Vater von Max, der die Wohnung kaum verlässt, ist Fernsehen „das Fenster zur Welt“. Dafür investiert er trotz des knappen Einkommens jeden Monat 38 Euro. Der Ratenvertrag läuft 24 Monate lang. „Bis dahin ist der auch abbezahlt“, so Joachim F. Und Max wird dann fast aus dem Kindergartenalter herausgewachsen sein. Der Vater bereut es nicht, dass er den Fernseher gekauft hat, statt seinen Sohn in den Kindergarten zu schicken: „Sonst hätte Max ja keinen eigenen Fernseher im Zimmer und ich müsste wieder den ganzen Tag Kika schauen. Ne.“
Bei Kindern kommt das Geld vom Staat oft gar nicht an
In vielen Familien mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind die Kinder die eigentlichen Verlierer. Der Armutsforscher Ronald Lutz von der Fachhochschule Erfurt sagt dazu: „Man muss bei Kinderarmut die Frage stellen, wie die Ressourcen- und Geldaufteilung innerhalb der Familie ist. Da kann man durchaus in bestimmten Familienkonstruktionen die These wagen, dass die Kinder von dem Geld, was bei der Familie ankommt, eigentlich am wenigsten bekommen.“
Dies zeigt sich auch bei Max. Regelmäßige Mahlzeiten bekommt er nicht, meist reicht das Geld für Lebensmittel nur knapp. Für Zigaretten geben die Eltern allein 100 Euro im Monat aus.
Ronald Lutz will den Kindern helfen durch eine Umverteilung der Gelder. Er sieht die Lösungen in einem kostenlosen Kindergarten und stärkeren Investitionen in Bildung und Freizeit. Diesen Weg beschreiten bereits einige Kommunen. In Frankfurt etwa müssen Kinder aus sozial schwachen Familien nach den Herbstferien nur noch einen Euro für das Schulmittagessen bezahlen. Für alle anderen Schüler hat die Stadt den Essenpreis auf maximal drei Euro begrenzt.
Politiker fordern kostenlose Kindertagesstätten
Die hessische SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti fordert sogar eine unentgeltliche Schulspeisung sowie eine schnellere Anpassung von Hartz IV an die Lebenshaltungskosten. Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen streben die Abschaffung der Kindergartengebühren an.
Der Bundesvorsitzende der Arbeiter-Wohlfahrt (AWO), Wilhelm Schmidt, begrüßt die politischen Vorstöße, denn: „Die Spätfolgen von Armut bestimmen die Schullaufbahn und das weitere Leben insgesamt.“ Ein frühzeitiger und kontinuierlicher Besuch einer Kindertagesstätte wirke sich daher positiv auf die Schulkarriere der Kinder aus, betonte der AWO-Vorsitzende. Das Betreuungsgeld müsse dagegen „unbedingt verhindert werden“, so Schmidt. Seiner Ansicht nach setzt dieses die falschen bildungs- und gesellschaftspolitischen Anreize und gefährdet die Finanzierung des Ausbaus der Krippenplätze.
Diese Ansicht teilen immer mehr Experten, so auch der Pastor und Gründer des Kinderhilfswerkes „Arche“, Bernd Siggelkow. In einem Interview mit dem Christlichen Medienmagazin pro spricht er sich dagegen aus, dass Hartz IV-Familien mehr Geld vom Staat bekommen. Obwohl es nicht gerecht gegenüber den Familien sei, die ihre Kinder verantwortungsvoll zuhause erziehen, hält er es für besser, Betreuungseinrichtungen und Schulen das Geld zu geben.
Dann würde auch Max mit anderen Kindern spielen können und besser gefördert werden als zuhause. Die Debatte über dieses Thema wird vermutlich noch lange geführt werden.