Im Stile der Container-Soap "Big Brother" wurden zwanzig Kinder
zwischen acht und elf Jahren zusammen in zwei abgelegene Häuser an der
Küste Cornwalls gesteckt. In einem davon lebten die Jungs, im anderen
die Mädchen. Kameras filmten die Kinder die ganze Zeit über. Die
Teilnehmer hatten in der Ausstrahlung des britischen Privat-Senders
"Channel 4" im Frühjahr nicht mit gegenseitigen Verbalattacken und
heftigem Mobbing gegeizt.
Trotzdem wurde der Kanal vom Vorwurf der Jugendschutzverletzung freigesprochen. Ein Teil der Fernsehzuschauer hatte die Rechte der Kinder verletzt gesehen und sich vor allem um das seelische Wohl und die Sicherheit der minderjährigen Teilnehmer gesorgt. Vielfach hatten die Kinder sogar vor der Kamera darum gebettelt, wieder nach Hause zu ihren Eltern zu dürfen. "Viele Zuschauer hatten den Eindruck, dass die Kinder in einem potenziell unsicheren Umfeld ohne elterlichen Beistand völlig allein gelassen wurden. Unsere detaillierte Untersuchung hat aber ergeben, dass dies nicht der Fall gewesen ist", zitiert die britische Tageszeitung "The Guardian" aus dem Ofcom-Entscheid.
"Mehr als fragwürdig und fast schon menschenverachtend"
Ganz anders sieht dies der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ), Gerd Engels: "Dass Kinder auf diese Art und Weise von einem Fernsehsender vorgeführt werden, ist meines Erachtens mehr als fragwürdig und grenzt an menschenverachtendes Verhalten", sagte Engels gegenüber der Nachrichtenagentur "Pressetext". Mit der von den Verantwortlichen ursprünglich als "soziales Experiment" angekündigten Show habe "Channel 4" wohl nur das Ziel verfolgt, die eigenen Einschaltquoten anzukurbeln.
Weil der Sender zu jeder Zeit sichergestellt habe, dass die Minderjährigen durch ein umfangreiches Set an Maßnahmen und Vorschriften geschützt waren, sehe Ofcom keinen Verstoß gegen die geltenden Rundfunk- und Jugendschutzrichtlinien heißt es in dem Gutachten: "Wir möchten in diesem Zusammenhang aber noch einmal alle Rundfunkanbieter darauf aufmerksam machen, dass sie achtsamer mit den Empfindlichkeiten der Zuseher umgehen sollten, insbesondere in Bezug auf Programminhalte, die Kinder miteinschließen", mahnt die Behörde in ihrer Mitteilung für zukünftige Projekte.
Das "Sozialexperiment" hatte auf gesellschaftlicher Ebene in Großbritannien heftige Diskussionen ausgelöst. "Kinder sollten beschützt und nicht für kommerzielle Zwecke ausgenutzt werden", erzürnte sich der Abgeordnete Denis MacShane. Die TV-Kritikerin Lucy Mangan ging in der Bewertung noch einen Schritt weiter: "Die Mädchen kämpfen mit geschliffener psychischer Grausamkeit, die an Genie grenzt." In den Fernsehbeiträgen sieht man viele verstörte und ängstlich reagierende Mädchen, bei den Jungs, bei denen nach Aussage einiger Teilnehmer niemand kochen konnte, wurden aus Balgereien schnell handfeste Schlägereien.
Programmdirektorin Dominique Walker wird vor der Erstausstrahlung in den "Stuttgarter Nachrichten" zitiert, dass man herausfinden wolle, wie "Kinder klar kommen, die unsere Gesellschaft entweder in Watte packt oder zwingt, viel zu schnell erwachsen zu werden."