Khorchide: „Spannung zwischen Islam und Westen so groß wie nie“

Viele junge Muslime in Deutschland identifizieren sich mit dem Islam, hätten aber keine Ahnung von der Religion. Das sagte der islamische Theologe Mouhanad Khorchide bei einer Veranstaltung in Frankfurt. Diesen Trend beobachte er teilweise auch mit Blick auf das Christentum. Das erschwere das Zusammenleben.
Von Jonathan Steinert
Mouhanad Khorchide wurde im Libanon geboren, ist in Saudi-Arabien aufgewachsen, hat in Österreich und Beirut studiert und ist jetzt Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster

Die Zahl der Muslime, die ihren Glauben leben und praktzieren, nimmt stetig ab. Gerade junge Muslime in Deutschland identifizieren sich mit dem Islam, aber wissen kaum um die Inhalte ihrer Religion. Das erklärte der islamische Theologe und Soziologe Mouhanad Khorchide bei einer Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung vergangene Woche in Frankfurt. „Religion wird reduziert auf eine identitäre Dimension“, sagte er. Junge Menschen zeigten etwa religiöse Symbole „als Zeichen der Identifikation“, aber hätten „keine Ahnung vom Koran“.

Ähnliches sieht Khorchide aber auch in Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, etwa bei manchen AfD-Wählern, die sich zwar auf das christliche Abendland beriefen, aber nicht erklären könnten, was „christlich“ überhaupt bedeutet. Der Wissenschaftler spricht dabei von „ausgehöhlten Identitäten“ auf beiden Seiten. Diese seien angewiesen auf ein Feindbild, um sich selbst über die Abgrenzung zu einer anderen Gruppe zu definieren. Das führe zu Angst und Verunsicherung. Darin sieht er ein Problem für die Integration von Muslimen in Deutschland und für das Zusammenleben: „In den letzten Jahren beherrschen Fragen der Identität den Diskurs und das polarisiert. Diese Spannung zwischen Muslimen und dem Westen war noch nie so stark wie heute.“

Medien prägen das Bild vom Islam

Khorchide, der an der Universität Münster Professor für islamische Religionspädagogik ist, machte dafür auch die öffentliche kontroverse Debatte darüber mitverantwortlich, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht. Das verletze viele Muslime und treibe sie in die Arme von Extremisten. „Je mehr wir sagen: ‚Ihr gehört nicht zu uns‘, gewinnen Salafisten und Erdogan sie für sich“, sagte er. „Wir können nicht fordern: ‚Demokratisiert euch, integriert euch!‘, und gleichzeitig sagen: ‚Wir haben ein Problem mit euch.‘“ Demokratische Werte und Pluralität müssten gelebt werden. Allerdings versage die deutsche Mehrheitsgesellschaft dabei, ihre Werte gegenüber Muslimen zu kommunizieren. Der Wissenschaftler betonte, es brauche Räume der Begegnung, um Ängste vor dem jeweils anderen auf beiden Seiten abzubauen.

Viele Menschen in Deutschland hätten vom Islam keine Ahnung, sagte Khorchide und nahm auch die Presse in die Pflicht: Was die Menschen über den Islam wüssten, hätten sie vor allem aus den Medien. „Medien müssen aufklären“, forderte er. Jedoch berichteten sie vor allem über Dinge, die aufregten, etwa Kriminalfälle. „Daher haben wir nur negative Bilder vom Islam im Kopf.“

An die Adresse seiner Glaubensgenossen sagte Khorchide, er wünsche sich einen Islam, zu dem Deutschland gehört, bei dem es sich also nicht ausschließt, religiös und Teil einer pluralistischen Gesellschaft zu sein. „Wir könnten Europa spirituell bereichern. Dafür aber müssen wir selbst wieder die Spiritualität entdecken, wegkommen von einem normativen Verständnis der Religion: Was darfst du, was musst du?“ Er forderte von Muslimen eine selbstkritische Haltung ihrer Religion gegenüber. „Wir müssen uns von Gewalt distanzieren, auch wenn wir das schon oft gemacht haben.“ Allerdings seien von Theologen des Mainstream-Islam keine Impulse für eine aufklärerische Öffnung des Islam zu erwarten.

„Deutscher Staat unterstützt ungewollt politischen Islam“

Für die Integration von Muslimen in der demokratischen Gesellschaft hält Khorchide islamischen Religionsunterricht an Schulen für wichtig: „Damit wir sie in einem frühem Stadium aufklären über Religion: Sie identifizieren sich damit, aber wissen nichts darüber.“ Jedoch seien die politischen Strukturen in Deutschland dafür ungeeignet. Denn um Religionsunterricht anbieten zu dürfen, braucht der Staat einen Ansprechpartner. Kirchen sind dafür als Körperschaften des öffentlichen Rechtes organisiert und haben Verträge mit dem Staat geschlossen. Der Islam als Religion kennt solche Organisationsformen nicht, betonte Khorchide, nur der politische Islam organisiere sich.

Deshalb hält Khorchide es für problematisch, wenn deutsche Poitiker Vereinbarungen mit Islamverbänden anstreben. Die repräsentierten nur etwa 15 bis 20 Prozent der Muslime in Deutschland. Außerdem seien die Verbände vom Ausland abhängig, würden etwa von der Türkei oder dem Iran bezahlt. „Der deutsche Staat unterstützt ungewollt den politischen Islam, den er eigentlich nicht im Land haben möchte, weil er Organisationen als Ansprechpartner braucht.“ Khorchide schlägt hingegen vor, stattdessen mit einer Kommission von verschiedenen unabhängigen islamischen Theologen und Pädagogen zusammenzuarbeiten.

Von: Jonathan Steinert

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