Kelek: „Islam hindert sich selbst am Fortschritt

Sie wird "Hasspredigerin" oder "Fundamentalistin" genannt, will die Rechte muslimischer Frauen stärken und ist Mitauslöserin einer Mediendebatte über "Islamkritik" in Deutschland. Soziologin und Buchautorin Necla Kelek erklärte der Zeitung "Die Welt" im Interview, warum Religionskritik auch Fortschritt bedeutet.

Von PRO

"Seitdem die Kritik vor fast tausend Jahren aus dem islamischen Denken verbannt wurde, hindert diese Gesellschaft sich selbst am Fortschritt und straft alle Dissidenten als Verräter ab. Der Zweifel als Triebfeder der Erkenntnis ist dem islamischen Denken verloren gegangen", sagt Necla Kelek. Sie steht, gemeinsam mit dem Journalisten Henryk M. Broder oder dem Autor Hamed Abdel-Samad, im Zentrum einer Mediendebatte darüber, wieviel Kritik am Islam erlaubt ist. Gegenüber der "Welt" sagt sie: "Das große Problem ist, dass die westlichen Individualisten nicht nachvollziehen können, was der Islam ist. Sie denken, er sei nur eine Variante ihres Glaubens, eben eine mit Kopftuch. Der Islam ist aber ein System, das den Menschen als Sozialwesen und nicht als Individuum sieht, er fordert das Kollektiv. Das Christentum ist durch die Aufklärung nicht entchristlicht worden, und die Muslime werden durch die Ächtung der Scharia nicht zu schlechteren Muslimen. Sie müssen sich säkularisieren, müssen den ideologischen und politischen Charakter des Islam ablegen und sich auf die Spiritualität besinnen."

"Der Islam – ein Apartheidssystem"

Kelek setzt sich vor allem für die Rechte muslimischer Frauen ein. Irgendwann habe sie nicht mehr wegschauen können. "Die Entschleierung der Frau, also die persönliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung, würde den Islam total verändern. Das wäre die eigentliche Revolution. Ohne die Gleichberechtigung der Frau bleibt der Islam ein Apartheidsystem." Kritik an ihren Aussagen werde vor allem geübt, weil so wenig andere Muslime kritische Positionen bezögen. "Da ich mich aber nicht mit der Rolle als Impulsgeberin zufriedengebe, sondern versuche, Strukturen und Hintergründe auszuleuchten, werde ich einigen vielleicht lästig", sagt Kelek und weiter: "Für mich zeigt sich dabei aber, dass einige Intellektuelle in diesem Land zutiefst verunsichert sind. Anstatt genau hinzusehen, wer wie argumentiert, wird der verbale Hammer geschwungen. Meine Kritiker scheinen den urdeutschen Schuldkomplex abzuarbeiten. Wer ernsthaft meint, das Eintreten für Menschenrechte sei so fundamentalistisch wie der Aufruf zum Heiligen Krieg, der verabschiedet sich aus dem sachlichen Diskurs." Artikel, in denen sie als "Hasspredigerin" bezeichnet werde, seien "destruktiv, weil sie versuchen, die Berechtigung von Religionskritik an sich infrage zu stellen." Islamisten und Islamfunktionäre rieben sich indes die Hände in Unschuld.

Necla Kelek ist in Istanbul geboren und wanderte mit ihrer Familie im Alter von zehn Jahren nach Deutschland aus. Sie studierte Volkswirtschaft und Soziologie in Hamburg und Greifswald und promovierte zum Thema "Islam im Alltag". Die Autorin wurde vor allem durch ihr Buch "Die fremde Braut – ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland" bekannt. Sie ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und setzt sich für die Rechte muslimischer Frauen ein. Am 18. März erscheint ihr neues Buch "Himmelsreise – Mein Streit mit den Wächtern des Islam" im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Darin setzt sich Kelek mit dem islamischen Traditionalismus auseinander. Ihm stellt sie in einer "kleinen Koranschule" eine aufgeklärte Lesart des für Muslime heiligen Buches entgegen, klärt über Entstehung und Hintergründe des Islam auf und will zeigen, dass Kopftuch oder Pflichtgebet mit diesem Glauben unvereinbar sind. (pro)

http://www.welt.de/die-welt/debatte/article5996026/Den-Muslimen-fehlt-die-Selbstkritik.html
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