Islamisch geprägte Gesellschaften sind demokratiefähig. Das erklärte die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher bei einer Anhörung im Bundestag. Dafür dürfe aber die Scharia nicht das Rechtssystem bestimmen.
Von PRO
Foto: pro/Anna Lutz
Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher hält einen kritischen innerislamischen Diskurs für notwendig, um die Konflikte zwischen einem islamischen Rechtssystem und der Demokratie zu entschärfen
Mit der Scharia ist kein demokratischer Staat zu machen, erklärte Christine Schirrmacher, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Bonn, im Rahmen einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses am Dienstag im Bundestag. Zwar schließen sich Islam und Demokratie nicht aus. So gilt beispielsweise Indonesien als Vorbild für eine muslimische Demokratie, auch wenn es Rückschläge gibt; Tunesien hat sich ebenfalls demokratisiert – allerdings als einziges Land des sogenannten Arabischen Frühlings. Entscheidend sei jedoch, welche Bedeutung die Scharia, das islamische Recht, für die Rechtsprechung und Gesetzgebung des Landes habe.
Fließen moralische und rechtliche Normen der Scharia darin ein, „werden sich in jedem Fall Konfliktpunkte mit Demokratie, Menschen- und Freiheitsrechten ergeben“, sagte Schirrmacher. Grundsätzlich seien mehrheitlich islamisch geprägte Gesellschaften demokratiefähig. Aber die Demokratie werde sich dort nur durchsetzen, wenn das Rechtssystem nicht von der Scharia geprägt ist. Schariarecht gelte unter islamischen Theologen als nicht aufgebbares Gottesrecht, das über der menschlichen Gesetzgebung stehe. „Solange dieser Anspruch in staatlichem Recht seinen Niederschlag findet (…), werden sich Meinungspluralismus, ein öffentlich ungehinderter Austausch diverser Rechtsauffassungen, Parteienvielfalt und eine freie Wahlmöglichkeit der Bürger zwischen verschiedenen Religionen und Weltanschauungen nicht durchsetzen können.“
Scharia lässt keine Religionsfreiheit zu
Als Konfliktpunkte zwischen Scharia und demokratischen Prinzipien nannte Schirrmacher unter anderem die rechtliche Benachteiligung von Frauen im Ehe-, Erb- und Scheidungsrecht, wie es in arabischen Staaten deutlich werde. Ein säkulares Zivilrecht gebe es dort nicht. Große Differenzen sieht Schirrmacher auch hinsichtlich der Meinungs- und Religionsfreiheit. Nach schariarechtlichen Normen stehe auf einen Austritt oder Religionswechsel vom Islam nach wie vor die Todesstrafe. Unter anderem in Saudi-Arabien, Nordsudan und Jemen sei dies auch geltendes und angewandtes politisches Recht. Aber auch in Ländern, wo die „Apostasie“, der Abfall vom Islam, nicht mit dem Tod bestraft wird, „genießen etwaige Religionswechsler keine Rechtssicherheit, da sie immer wieder durch Fatwas (Rechtsgutachten) oder Aussagen von Machthabern öffentlich zum Tod verurteilt und von eifernden Mitgliedern der Gesellschaft zum Teil auf offener Straße hingerichtet werden“.
Auch Minderheiten müssten in schariarechtlich geprägten Ländern auf Rechte verzichten. „Gleichberechtigung zwischen Angehörigen der Mehrheitsreligion (des Islam) und den Minderheiten (Juden, Christen, Baha’i u.a.) ist unter Schariarecht in jedem Fall ausgeschlossen.“ Die Konflikte zwischen einem schariabasierten Rechtssystem und liberalen, demokratischen Verfassungen rührten daher, „dass die Auslegungsprinzipien des Korans in den ersten Jahrhunderten festgelegt wurden und seitdem als unhinterfragbar gelten“.
„Mohammed kritisch betrachten“
Um die Menschenrechte und Demokratie in Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zu fördern hält Schirrmacher ein europäisches Engagement in Bildung, Austausch- und Begegnungsprogramme sowie Projekte zum Thema Demokratie und Freiheitsrechte für zielführender als „direkte Intervention“. In Deutschland sei es bedeutsam, diejenigen zu unterstützen, „die eine demokratiekompatible Islaminterpretation vertreten“. Als positives Beispiel hob sie den Ansatz des Islamwissenschaftlers Mouhanad Khorchide vom Centrum für Religiöse Studien in Münster hervor.
Es sei notwendig, dass sich Muslime für einen innerislamischen „pluralistischen Religionsdiskurs“ öffneten, der Raum lasse für unterschiedliche Überzeugungen und Auffassungen. Dazu gehöre auch, die Entstehungsgeschichte des Islam und die Person Mohammeds wissenschaftlich-kritisch zu betrachten, erklärte die Wissenschaftlerin, die in diesem Jahr in die wissenschaftlichen Beiräte der Bundeszentrale für politische Bildung sowie des Bundeverbandes deutscher Kriminalbeamter berufen wurde.
Eine solche Auseinandersetzung mit der eigenen Religion könne „wegweisend“ sein für Muslime, die Freiheitsrechte und Demokratie bejahten und gleichzeitig ihrem Glauben treu bleiben wollten. Wenn Imame jedoch lehrten, dass Muslime nur dann echte Gläubige seien, wenn sie sich von der westlichen Welt und ihren Werten distanzierten, stürze dies Jugendliche in einen Zwiespalt – und mache sie gegebenenfalls empfänglich für radikale Ideologien. (pro)
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