„Kein guter Tag für die Demokratie“

Ein illegales Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens spaltet Spanien. Gegen die Abstimmung gingen spanische Behörden teils gewaltsam vor. Wie denken Christen darüber? Einig sind sie sich nicht, sagt der in Spanien lebende Journalist Joel Forster. Die Fragen stellte Nicolai Franz
Von PRO
Soll Katalonien unabhängig werden? Die Christen in der Region sind darüber uneins.

pro: Am Sonntag hat die katalanische Regierung ein Referendum über die Unabhängigkeit abgehalten – trotz eines Verbots der spanischen Behörden. War dies ein guter Tag für die Demokratie?

Joel Forster: Interessanterweise haben sowohl die spanische als auch die katalanische Regierung davon gesprochen, die „Demokratie“ zu verteidigen. Laut Umfragen sind 80 Prozent der Katalanen für ein genehmigtes, legales und echtes Referendum, aber das war aufgrund des Widerstandes der spanischen Regierung nicht möglich. Wenn es doch zu einem solchen echten Referendum gekommen wäre, hätten sicher viele mit „Nein“ gestimmt. Laut der spanischen Regierung hat Demokratie auch mit Gesetzestreue zu tun, und unsere Verfassung erlaubt es einzelnen Regionen eben nicht, sich von Spanien abzuspalten. Als dennoch das katalanische Gesetz zur Durchführung eines Referendums verabschiedet wurde, sagte Ministerpräsident Rajoy daher, die Befürworter der katalanischen Unabhängigkeit seien die „Totengräber der Demokratie“.

Nach der gestrigen Polizeigewalt und einigen surrealen Szenen ist klar: Es gibt keine Bereitschaft zum Dialog, stattdessen hat die Auseinandersetzung tiefe Wunden bei vielen Bürgern hinterlassen. Die spanische Seite hat kein Interesse an einer politischen Lösung. Es könnte sogar noch schlimmer kommen, wenn der katalanische Präsident Puigdemont tatsächlich die Unabhängigkeit erklärt. Niemand kann sagen, dass das ein guter Tag für die Demokratie war.

Wie haben sich Kirchenführer zum Referendum positioniert? Sind katalanische Christen für die Unabhängigkeit?

Es gab eine sehr gute Debatte unter christlichen Leitern Kataloniens. Einige Pastoren haben über Identität, Nationen, Konflikte und Dialog gepredigt – und was es heißt, Christ zu sein in solch einer Situation. Einige haben ihre Haltung in Artikeln veröffentlicht, wobei auch hier die gegenteiligen Meinungen immer respektvoll vorgetragen wurden. Die Spanische Evangelische Allianz und verschiedene Gemeindebünde haben zum Gebet und Einsatz für Frieden aufgerufen, zum Brückenbauen und unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Einige Kirchen in Barcelona sind eher dem „Katalanismus“ zugewandt, andere nicht. Im Netz liefen die Debatten unter Christen manchmal enttäuschend ab. Aber es gab auch Aktionen wie Gebetstreffen und manche Verlautbarung, die eine wachsende Reife erkennen lassen, was das Verständnis der Einheit in Jesus Christus angeht – mitten in dieser Zerreißprobe.

Sind spanische und katalanische Christen ebenso gespalten wie die Gesellschaft insgesamt?

Ich weiß von manchen Freunden, die absolut gegen die Unabhängigkeit Kataloniens, aber offen für Argumente sind – und umgekehrt. Trotzdem ist es ein schwieriges Thema, weil man oft an den Punkt gelangt: Ich respektiere dich, aber lass jetzt gut sein, weil dieses Thema unsere Freundschaft nicht belasten sollte. Besonders schwierig wird es, wenn Bibelverse aus dem Kontext gerissen werden, auf beiden Seiten. Gut ist, dass es auch viele Christen gibt, die versuchen, ihre eigene Meinung und die der Regierung kritisch zu hinterfragen. Christen sollten nicht auf politische Propaganda und Schlagworte hereinfallen, sondern ihre Identität in erster Linie in Christus suchen. Auf diese Weise kann man verhindern, dass politische Ansichten zum Götzen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Joel Forster ist Redaktionsleiter von Evangelical Focus, einer englischsprachigen Nachrichtenplattform für Europa. Herausgeber ist „Protestante Digital“, ein Angebot der Spanischen Evangelischen Allianz. (pro)

Die Fragen stellte Nico Franz

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