Die Flüchtlingsunterkünfte sind überfüllt, Kommunen klagen über ausgelastete Kapazitäten. In Politik und Medien wird deshalb debattiert, ob Balkanländer wie Albanien und der Kosovo in die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ aufgenommen werden sollten. Dadurch würden sich für Asylbewerber aus diesen Ländern die Chancen auf Asyl weiter verschlechtern, ihr Asylverfahren würde zudem beschleunigt. Laut den Befürwortern einer solchen Regelung könne man so einen Missbrauch des Asylrechts auf Kosten von „echten“ Flüchtlinge beheben.
Rainer Maria Kardinal Woelki bereist Albanien und den Kosovo derzeit mit einer Delegation der Caritas. In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur am Mittwoch berichtet er, Albanien sei eigentlich ein Land mit großem Entwicklungspotential: Es gebe reiche Bodenschätze und genügend Wasser, um die gesamte Elektrizität des Landes über Wasserkraftwerke bereitzustellen. Trotzdem seien die Menschen hoffnungslos, sähen keine Zukunft für sich in ihrem Land. Die Entwicklung der Menschen werde vor allem durch ein sehr korruptes System behindert. Wer etwa zum Arzt gehe, wisse nicht, wie viel Bestechungsgeld er zahlen müsse, um überhaupt als Patient angenommen zu werden. Gleichzeitig werde man ständig mit dem Wohlstand derer konfrontiert, die im europäischen Ausland arbeiten. Diese könnten etwa ihre Familien finanziell unterstützen, ein Haus im Heimatland finanzieren, in den Ferien mit teuren deutschen Autos vorfahren. Daher sei der Wunsch vieler, auch im Ausland zu arbeiten oder ganz auszuwandern verständlich und durchaus legitim. In Albanien sei die Bevölkerungszahl aufgrund der Abwanderung seit 2013 von 3,2 Millionen auf 2,8 Millionen gesunken, im Kosovo lebten gar 60 Prozent der Bevölkerung im Ausland, so Woelki.
„In Entwicklung dieser Länder investieren“
Problematisch sei allerdings, dass man versuche, über das Asylsystem nach Deutschland zu gelangen. Denn die Chancen, als Flüchtling anerkannt zu werden, seien äußerst gering. Dies werde auch von offiziellen, kirchlichen und gemeinnützigen Stellen deutlich kommuniziert. „Das Problem ist, dass sie es uns nicht glauben“, sagt Woelki. „Weil sie eben darum wissen, dass ihre Familien oder ihre Nachbarn jetzt schon acht, neun, zehn Monate in Deutschland sind.“ Die Anträge würden zwar abgelehnt, die ehemaligen Asylanwärter blieben aber trotzdem im Land. Die Warnungen von offizieller Seite erschienen deshalb unglaubwürdig, und man versuche es weiterhin auf diesem Weg.
Woelki fordert deshalb: „Wir müssen intensiv weiter in die Entwicklung dieser Länder investieren.“ Es müsse gezielt in Menschen investiert werden, in ein funktionierendes Gesundheitssystem und in eine effektive Bekämpfung der Korruption. Zudem müsse es ein deutsches Einwanderungsgesetz geben, um den Menschen eine legale Zuwanderung zu ermöglichen. Natürlich, ergänzt Woelki, dürfe man nicht vergessen, dass es auch „echte“ Flüchtlinge aus den beiden Ländern gebe. Roma etwa seien oft von rassistischer Gewalt bedroht. Deshalb sei es wichtig, dass Asylsuchende auch weiterhin ein faires und unvoreingenommenes Verfahren erhalten. (pro)