Kardinal Meisner, Richard Dawkins – und die Nationalsozialisten

Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hat mit seiner Predigt am vergangenen Sonntag eine Debatte ausgelöst – um die Frage, welche Denkmuster den "Gotteswahn"-Thesen atheistischer Wissenschaftler wie des Briten Richard Dawkins zu Grunde liegen. Meisner nämlich hatte Dawkins ein Menschenbild attestiert, das mit dem der Nationalsozialisten vergleichbar sei.
Von PRO

In seiner Predigt zum katholischen Feiertag "Allerheiligen" widmete sich der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner den Thesen der Atheisten. Vielleicht auch im Blick auf die Friedliche Revolution und den Mauerfall, an die Deutschland in diesen Tagen zum 20. Jahrestag denkt, erinnerte Meisner an seine Erfahrungen als leitender katholischer Würdenträger in der ehemaligen DDR. Denn Meisner war unter anderem von 1980 bis kurz vor der "Wende" Bischof von Berlin.

"Als ehemaliger DDR-Bürger habe ich das Allerheiligenfest immer als das große Siegesfest über den so genannten wissenschaftlichen Atheismus erfahren", sagte Meisner laut Manuskript in seiner Predigt am Sonntag. Und erinnerte daran, dass das DDR-Regime mit der Verzierung "wissenschaftlich" den Menschen weismachen wollte, "dass mit dem Tode alles aus ist, dass es keinen Gott gibt und deswegen auch nicht Wahrheit oder Lüge, Gut oder Böse. Das seien alles nur Etiketten und Festlegungen der herrschenden Klasse", so Meisner.

Er hätte jedoch nicht gedacht, dass "dieser Unsinn von damals heute wieder Auferstehung feiert, indem der Mensch und seine Welt wieder wie damals auf das quantitativ Messbare reduziert und gleichsam in das Gefängnis der Quantitäten eingesperrt werden. Dass dabei der Mensch auf der Strecke bleibt, damals wie heute, scheint raffiniert verdrängt zu werden". Abgeschnitten von allen geistigen und religiösen Wurzeln, verliere die so genannte wissenschaftliche Vernunft das Korrektiv für ihr Denken und Handeln.

Wie Walter Ulbricht damals habe man auch heute "aus dieser so genannten wissenschaftlichen Erkenntnis" neue Zehn Gebote formuliert, meinte der Kardinal: "Du sollst nicht glauben! Du sollst dir kein Selbstbildnis machen und es Gott nennen! Du sollst keine Götter neben dir dulden! Du sollst keinen Schöpfer haben! Du sollst deine Kinder ehren und sie deshalb mit Gott in Frieden lassen! Sei auch gut ohne Gott! Du sollst keine Götter neben der Wissenschaft haben! Liebe deinen Nächsten ohne schlechtes Gewissen! Du sollst den Sabbat nicht ehren! Du sollst als Schöpfer nicht knien!" Dies sei ein "Horrorszenarium", denn so erhebe sich die Wissenschaft zum "einzigen Gott oder Götzen".

Meisner weiter: "Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als ‚Verpackung der allein wichtigen Gene‘, deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei." Der Kardinal erinnert an die Thesen des australischen Philosophen Peter Singer, für den ein "Schwein oder Affe wertvoller als ein hilfloses Baby oder ein altersschwacher Mensch (ist), welche prinzipiell getötet oder dem Zugriff der Forschung verfügbar gemacht werden dürfen, wenn nicht Interessen Angehöriger entgegenstünden".

"Demagogisch"

Besonders der erste Satz dieser Passage aus Meisners Predigt rief eine empörte Welle der Kritik hervor. Die atheistische Giordano-Bruno-Stiftung etwa warf dem Kirchenmann "Propaganda der übleren Sorte" vor, Meisners Vergleich sei "demagogisch", der Kardinal wolle konfessionsfreie Menschen diskreditieren. Ein Autor der "Frankfurter Rundschau" kommentierte: "Bekanntlich haben dergleichen Nazi-Vergleiche eher die Tendenz zur Verharmlosung historischer Sachverhalte. Womit Meisner glaubt, eine Debatte zu befeuern und Aufmerksamkeit herstellen zu müssen, verhöhnt alle Opfer des Nationalsozialismus."

Und der Kölner Stammzellenforscher Jürgen Hescheler warf Meisner im "Kölner Stadt-Anzeiger" vor, die Gräben zwischen Wissenschaft und Theologie zu vertiefen. "Wir versuchen alle, dass Wissenschaft und Kirche wieder näher zusammenkommen. Die Aussagen von Kardinal Joachim Meisner vertiefen die Gräben nun wieder." Als praktizierender Katholik und Wissenschaftler würde er sich wünschen, dass der Kardinal die Seite der Wissenschaft stärker zu verstehen versuche, sagte Hescheler. Die evangelische Kirche komme der Wissenschaft viel eher entgegen.

Rückendeckung erhält Meisner freilich auch. Der Kölner Generalvikar Dominik Schwaderlapp etwa meinte in der "Kölner Kirchenzeitung", dass der Kardinal "weder Richard Dawkins zum Nazi erklärt noch die Naturwissenschaften pauschal verteufelt" habe. Der Vergleichspunkt sei viel grundsätzlicher. Wer den Menschen allein als Produkt der biologischen Abstammung, Evolution, Gene sehe, der verkürze ihn auf die Ebene des rein Biologischen und beraube ihn seiner Menschenwürde, so der Kölner Generalvikar. Und auch der Journalist Alexander Kissler, Autor etwa des Buches "Der aufgeklärte Gott. Wie die Religion zur Vernunft kam", will Meisner in einem Interview mit "Domradio" für seine Aussagen nicht grundsätzlich verurteilen. Er zeigte zwar Verständnis für die Kritik an den Aussagen des Kardinals, warnte jedoch auch vor einer Verharmlosung des so genannten neuen Atheismus. "Ich glaube in der Tat, dass wir eine immer größere Polemik gerade von Seiten gewisser Naturwissenschaftler erleben, allerdings sind es nur jene, die die Erkenntnisgrenzen ihres eigenen Faches überwinden und meinen, man habe nun mit gewissen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen den Generalschlüssel zu sämtlichen Rätseln und Phänomenen dieser Welt gefunden", so Kissler.

Die "neue Direktheit" auf Seiten der Vertreter von Kirche und Atheisten sei seiner Ansicht nach ein "neuer Debattenzug, an den wir uns in Deutschland noch gewöhnen müssen. In anderen Ländern wie den USA oder England ist das gar keine Besonderheit mehr".

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