Kasper ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und damit zuständig für die Ökumene und Gespräche seiner Kirche mit anderen Denominationen. Angesichts der Feiern der evangelischen Kirche zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 sagte Kasper der F.A.Z., man dürfe gespannt sein, in welcher Weise sich der Protestantismus präsentieren werde.
„Lässt man die Geschichte der Reformationsjubiläen Revue passieren, dann stellt man fest, dass sie meist recht ‚zeitgeistlastig‘ waren“, so der Kardinal. „Eine Rückbesinnung auf den Glauben des Reformators Martin Luther, der allen heutigen liberalen Tendenzen zutiefst abhold wäre, kann man dem Protestantismus nur wünschen.“
Für die Katholiken wünscht sich der Kardinal, dass sie „Luther besser kennenlernen und ihn nicht nur von seinen polemischen Schriften her oder gar einigen herausgerissenen Sätzen“ verstehen. Insbesondere sollten Katholiken „Luthers große und reiche Schriftenkommentare lesen und an seine glaubensstarken geistlichen Lieder erinnern, die sich inzwischen teilweise auch in unseren katholischen Gesangbüchern finden“. Dann entdecke man einen „Luther voller Glaubenskraft“, von dem aber auch Katholiken lernen könnten.
„Wie ernst nehmen die Protestanten das Sola-Scriptura-Prinzip?“
Kritik äußerte der Präsident des Einheitsrats am Kurs der evangelischen Kirchen in ethischen Fragen. Während es bis in jüngste Zeit kaum Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten in moralischen Überzeugungen gegeben habe, zeichneten sich heute bei Themen wie Empfängnisverhütung, Abtreibung, Homosexualität oder Embryonenforschung ein breites Meinungsspektrum auf evangelischer Seite und bisweilen deutliche Differenzen zur katholischen Kirche ab. „Das biblische Zeugnis scheint uns in den meisten dieser Fragen eindeutig zu sein“, meint Kasper. „Deshalb muss man die evangelischen Partner fragen, wie ernst sie es mit der Verbindlichkeit der Schrift und dem Sola-Scriptura-Prinzip nehmen.“
Der vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in die Debatte geworfene Begriff der „Ökumene der Profile“ ist nach Einschätzung des Kardinals dann sinnvoll, wenn er auf einen Dialog zwischen den Konfessionen abziele, die sich ihrer eigenen Identität bewusst sind. „Mit einer Schummelökumene und einem Wischiwaschi-Christentum ist niemandem gedient“, so Kapser. „Schwierig wird es freilich, wenn aus Profil Profilierung wird und Abgrenzung an die Stelle von Austausch der Gaben und Reichtümer tritt.“
Weiter sagte Kardinal Kasper, seine Kirche führe aktuell 14 bilaterale Dialoge mit anderen Glaubensgemeinschaften. Dazu gehöre auch der vereinzelte Dialog mit charismatischen Gemeinden, die insbesondere in Südamerika stark wachsen. „Es genügt nicht, die Pfingstkirchen als Sekten zu kritisieren“, so Kasper. „Man muss nicht nur fragen, was bei ihnen falsch ist, sondern vor allem, wo es bei uns fehlt. Warum verlassen so viele Menschen unsere Kirche? Was erwarten sie dort, was bei uns fehlt?“
Das in der F.A.Z. abgedruckte Interview mit Kardinal Kasper stammt aus dem im Herder Verlag erschienenen Buch „Wo das Herz des Glaubens schlägt“.