Käßmann: Luther hätte keinen „Job“ gehabt

Im Rahmen einer Mitgliederversammlung der Volksbank Mittelhessen hielt die Theologin Margot Käßmann einen Vortrag über christliche Werte in der Wirtschaft einer Gesellschaft. Darin sprach sie sich für die Zehn Gebote als gemeinsame Wertebasis aus. Sie forderte, auch Menschen wertzuschätzen, die außerhalb des regulären Wirtschaftskreislaufs stehen.
Von PRO

"Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es auch Grenzen von Wachstum und Grenzen von Geldvermehrung geben muss", sagte Käßmann am Donnerstag in Marburg. Das Thema Wirtschaft sei der Bibel nicht fremd. Doch stelle die Bibel an die Wirtschaft den Anspruch, im Sinne der Nächstenliebe und des Aufbaus der Gesellschaft zu handeln. "Angesichts von Ungerechtigkeit, Kriegen und Umweltzerstörung ist eine Verantwortung da, die wir wahrzunehmen haben."

Zehn Gebote als gemeinsame Wertebasis

Doch damit dies gelingen könne, brauche die Gesellschaft eine gemeinsame Wertebasis, auf die sie sich berufen könne. Als solches Werteraster würden sich die Zehn Gebote eignen. Auf sie könnten sich Juden, Christen und Muslime gleichermaßen berufen. Auch mit vielen Ungläubigen könne man sich auf die Gebote verständigen. In ihrer Rede erläuterte Käßmann, wie die einzelnen Gebote auf die moderne Wirtschaft angewendet werden können.

Das Sabbatgebot etwa sei auch heute relevant, so Käßmann, um eine gesunde Gesellschaft zu gewährleisten. Es bestehe eine Gefahr darin, immer mehr Menschen auch sonntags arbeiten zu lassen. "Manager leiden heute unter einem ‚Burnout‘-Syndrom, weil sie keinen Rhythmus von Schaffen und Ruhen mehr kennen. Und ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft dann irgendwann einem kollektiven ‚Burnout‘ erliegt, wenn sie keine gemeinsamen Rhythmen mehr kennt."

Menschenwürde hängt nicht an Erwerbstätigkeit

Außerdem verarme eine Gesellschaft, wenn Arbeit lediglich als Möglichkeit des Gelderwerbs gilt. Käßmann wies darauf hin, dass der Reformator Martin Luther (1483-1546) die Arbeit nicht als einen "Job" gesehen habe, sondern im wörtlichen Sinn von "Beruf" als "Berufung". Arbeit als Berufung bedeute, die von Gott geschenkten Gaben an dem Ort einzubringen, wo Gott einen Menschen hingestellt hat, unabhängig davon, ob man damit auch Geld verdient.

Diese Einstellung zur Arbeit habe auch zur Folge, dass der Wert eines Menschen nicht daran hänge, ob er erwerbstätig sei und etwas zum Steueraufkommen eines Landes beitrage. "Mir ist wichtig, dass wir in unserem Land keiner Erwerbs- oder Arbeitsreligion das Wort reden. Das Erste ist nicht die Erwerbstätigkeit, sondern die Gottesebenbildlichkeit eines Menschen."

Aus diesem Grund seien auch Menschen zu schätzen, die nicht im normalen Wirtschaftskreislauf stehen. "Nicht nur die gelten etwas, die erwerbstätig sind, sondern auch diejenigen, die etwa zu Hause Kinder erziehen, Alte pflegen, im Ruhestand leben, oder ehrenamtlich tätig sind." So würden Menschen etwa eine Pflege- und Erziehungsleistung erbringen, die die deutsche Gesellschaft ansonsten gar nicht finanzieren könnte.

Warnung vor "Karnevalisierung der Gesellschaft"

Doch um zu erkennen, welche Berufung ein Mensch hat, müsse er Pausen einlegen. "Wir brauchen eine Zivilgesellschaft, wo Menschen fragen: Wofür kann ich meine Zeit einsetzen?" Käßmann warnte vor einem Zustand der permanenten Spaßmacherei, den sie in Anlehnung an Soziologen "Karnevalisierung der Gesellschaft" nannte. In einer solchen Gesellschaft würden die ernsten Fragen des Lebens, etwa nach der jeweiligen Berufung, gar nicht mehr gestellt.

Großer Andrang wegen Käßmann

Die Mitgliederversammlung der Volksbank Mittelhessen sollte eigentlich in der Marburger Stadthalle stattfinden. Aufgrund des Vortrags von Käßmann war die Anfrage jedoch so groß, dass der Veranstalter auf die größere Georg-Gaßmann-Halle ausweichen musste. Am Donnerstagabend kamen nahezu 2.000 Menschen, um Käßmann zuzuhören.

Käßmann ist gebürtige Marburgerin und wuchs in Stadtallendorf in der Nähe von Marburg auf. Von 1977 bis 1983 studierte sie evangelische Theologie, unter anderem auch in Marburg. Sie begleitete in ihrer Laufbahn verschiedene Ämter in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, war unter anderem als Pfarrerin tätig.

Im Jahr 1999 wurde sie Landesbischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, zehn Jahre später Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Von beiden Ämtern trat sie im August 2010 zurück, nachdem sie in alkoholisiertem Zustand Auto gefahren war. Ab April 2012 wird Käßmann im Rahmen der "Reformationsdekade" (2007-2017) der EKD als "Lutherbotschafterin" unterwegs sein. (pro)

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