„Hurra, es ist ein Mädchen“ – diesen und ähnliche Aussprüche kennt man von werdenden Eltern. Doch manchmal wünschen sich die Eltern vielleicht einen Jungen statt eines Mädchens – oder andersherum. Nur: Kann dieser Wunsch so groß sein, dass die Mutter dafür die Schwangerschaft abbrechen würde, wenn sich das „falsche Geschlecht“ ankündigt?
Diese Frage war bisher in Deutschland nicht relevant. Eine Abtreibung ist ohne medizinische Indikation nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei möglich. Das verpflichtet Ärzte, das Geschlecht des Kindes davor nicht den Eltern preiszugeben – eben um Abtreibungen wegen des Geschlechts zu vermeiden. Ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, erfahren Eltern meist um die zwanzigste Woche herum, wenn ein Ultraschalltermin beim Frauenarzt ansteht. Selbst wenn die Eltern also mit dem Geschlecht des Kindes unglücklich wären, könnten sie nichts mehr daran ändern – bisher.
In den USA gibt es seit etwa zehn Jahren Tests zur frühzeitigen Geschlechterbestimmung; langsam finden sie ihren Weg nun auch nach Deutschland – via Versandhandel. Das berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). Mit den Tests können Mütter lange vor der zwölften Woche herausfinden, ob ihr ungeborenes Kind Junge oder Mädchen wird – zumindest versprechen das die Tests.
Verlässlichkeit der Tests schwankt
In der Praxis schwankt deren Qualität. Das liegt daran, dass es zwei Kategorien gibt: Billige Urintests und teure Bluttests. Die billige Variante kostet etwa 20 Dollar und hat eine Trefferquote von rund 50 Prozent. „Diese Urintests sind Unsinn und haben keine wissenschaftliche Basis. Angeblich läuft das über die Feststellung eines erhöhten Testosteronwerts im Urin der Schwangeren, der auf einen Jungen hinweisen soll. Aber das ist nicht verlässlich“, sagte Professor Ulrich Gembruch in der FAS. Gembruch ist Direktor der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Uniklinikum Bochum.
Der anderen Variante räumt Gembruch dagegen deutlich bessere Erfolgsaussichten ein: Sie kostet rund 230 Euro und testet die im Blut der Mutter nachweisbare DNA des Kindes auf männliche oder weibliche Chromosomensätze. Dazu schickt die Mutter einfach eine Blutprobe nach Kalifornien und bekommt eine Woche später das Ergebnis. Der Test funktioniert ab Woche neun – theoretisch also genug Zeit, das deutsche Recht zu umgehen.
Tests könnten „Selektionsmentalität“ fördern
Doch ist das in Deutschland überhaupt ein Risiko? Nein, meint Nathan Nguyen, Marketingverantwortlicher des US-Unternehmens ABC Gene Tests, auf Anfrage der FAS. Die Firma versendet die besagten Tests auch nach Deutschland, nicht aber, wie Nguyen beteuert, etwa nach Indien oder China. Das seien sogenannte „Hochrisiko-Kunden“, also solche, bei denen eine geschlechtsbedingte Abtreibung tatsächlich wahrscheinlich sei. Deutschland hält man bei ABC Gene Tests in dieser Hinsicht offenbar für unbedenklich.
„Die frühe Bestimmung des Geschlechts – noch innerhalb der Fristen, in denen in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch straffrei wäre – scheint nur dann Sinn zu machen, wenn man in Abhängigkeit von seinem Geschlecht zwischen dem Leben des Babys und einer Abtreibung wählen möchte“, sagte Kristijan Aufiero, Vorstandsvorsitzender der Lebensrechtsorganisation „1000plus“, auf Nachfrage von pro. Gleichzeitig räumt er ein, dass hierzulande eine mit dem Geschlecht begründete Abtreibung so gut wie nie vorkomme; die meisten Frauen zögen einen Schwangerschaftsabbruch wegen einer existenziellen Notlage, Überforderung oder Problemen in der Partnerschaft in Betracht.
Das geringe Risiko sei jedoch gar nicht der springende Punkt, warum die „Geschlechterbestimmungstests“ verwerflich seien, so Aufiero weiter. Stattdessen wollten Eltern immer das Beste für ihr Kind. Das sei löblich, führe aber auch dazu, dass sie ihre eigenen Lebensumstände – auch die geschlechtlichen – unverhältnismäßig negativ wahrnähmen – und ihren Kindern ersparen wollten. „Was wir in unserer Gesellschaft brauchen ist eine neue Kultur des Lebens, die damit beginnt, dass wir Ja zu unserem eigenen Leben sagen. Wir brauchen einen Perspektivwechsel, den wir durch Wertschätzung, Anerkennung und Nächstenliebe erreichen – und nicht durch eine Selektionsmentalität, wie sie in einem ‚Geschlechterbestimmungstest‘ ihren Ausdruck findet.“
„Medizinethisch nicht vertretbar“
Axel W. Bauer, Professor für Medizinethik an der Universität Heidelberg, pflichtet Aufiero bei. Der Test steigere lediglich die gesellschaftliche Akzeptanz dafür, vor der zwölften Woche nicht-invasive Pränataldiagnostik anzuwenden – also Methoden, die ohne einen operativen Eingriff Informationen über das Kind verfügbar machen. Dies komme einem Türöffner für die „Rasterfahndung nach Behinderten“ gleich – und sei somit medizinethisch unvertretbar.
„Es gibt keinen förderungswürdigen Grund, weshalb Eltern das Geschlecht ihres Kindes mehr als ein halbes Jahr vor dessen Geburt in Erfahrung bringen müssten“, sagte Bauer auf Nachfrage von pro weiter. „Der einzige erkennbare Grund für diese Neugier könnte sein, ein Kind mit dem – aus Sicht seiner Erzeuger – ‚falschen‘ Geschlecht nicht geboren werden zu lassen.“