Die Idee von Jochen Hartloff, Zivilklagen künftig auch von islamischen Scharia-Gerichten verhandeln zu lassen, bezeichnete Klöckner als "verzichtbaren Beitrag, der nicht geeignet ist, den Rechtsfrieden in Deutschland zu befördern". Auf Anfrage von pro erklärte sie: "Das dem islamischen Recht zugrunde liegende Wertesystem lässt sich in zentralen Bereichen nicht mit unserem Grundgesetz und den damit verbundenen Wertentscheidungen vereinbaren. Allein schon die Stellung der Frau, die nach islamischem Recht in einer für uns unvorstellbaren Unmündigkeit gehalten wird, steht in einem diametralen Gegensatz zu unseren Vorstellungen von Menschenwürde und Persönlichkeitsentwicklung."
Hartloffs Vorschlag würde zudem Parallelgesellschaften fördern und die Anerkennung des deutschen Rechtswesens schmälern. "Wir werden ihm Gelegenheit geben, seine kruden Ideen im Parlament zu erläutern", so Klöckner. "Dabei wird sehr interessant sein, wie insbesondere auch die grünen Koalitionspartner die makabren und frauenfeindlichen Überlegungen des Justizministers beurteilen."
Hartloff hatte gegenüber der "B.Z." erklärt, islamische Schiedsgerichte seien in Deutschland grundsätzlich zulässig. "Auch die Sportgerichtsbarkeit oder die Kirchen haben eine eigene Rechtsprechung, die dem inneren Frieden dient", sagte er. "Wenn diese Gerichte allerdings den Anspruch haben, den Rechtsstaat und dessen Institutionen zu ersetzen, und die allgemeine Rechtsprechung keine Rolle mehr spielt, dann ist das eine kritische Entwicklung", so der Minister. Die Scharia sei somit nur in "moderner Form" akzeptabel: "Steinzeit werden wir nicht tolerieren. Steinigen ist menschenrechtswidrig." Zudem sollen die Scharia-Gerichte nur Zivilklagen und keine Strafsachen verhandeln dürfen. Die Urteile müssen mit dem deutschen Recht vereinbar sein, vor Prozessbeginn müssen sich beide Parteien einverstanden erklären.
Nach der heftigen Debatte, die er mit seinen Äußerungen ausgelöst hatte, war der SPD-Politiker schnell um Schadensbegrenzung bemüht. Über seinen Sprecher ließ er der Tageszeitung "Die Welt" mitteilen: "Wir haben keinerlei Pläne, solche Gerichte in Rheinland-Pfalz einzuführen." Die Behauptung, Hartloff setze sich für die Scharia ein, sei eine Entstellung, ebenso wie die Formulierung, er habe einen politischen "Vorstoß" gemacht. "Die Klarstellung kommt zu spät", schreibt die "Welt" am Samstag. "In Deutschland ist eine Scharia-Debatte hochgekocht."
Kritik von Leutheusser-Schnarrenberger bis Alice Schwarzer
So hält Jörg-Uwe Hahn (FDP), Chef der Justizministerkonferenz, von Hartloffs Plänen wenig: "Recht sprechen bei uns deutsche Gerichte. Islamische Sondergerichte braucht es da nicht", zitiert ihn die "Bild"-Zeitung in ihrer Freitagsausgabe. Seine Parteifreundin und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte gegenüber der "Welt", sie ware davor, "von einer möglichen Paralleljustiz in Deutschland zu sprechen. Die Justiz liegt allein in den Händen des Staates und ist strikt an rechtsstaatlichen Vorgaben orientiert". Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagte der "Welt am Sonntag", islamische Schiedsgerichte kämen "überhaupt nicht in Frage. Integration bedeutet Akzeptanz unseres Rechts, und zwar auch unseres Zivilrechts".
Der CSU-Rechtsexperte Stephan Mayer wiederum forderte Hartloffs Rücktritt: "Es ist unvorstellbar, dass ein Justizminister solche Gedanken hegt." Die Scharia sei in jeder Form grausam und menschenverachtend und habe in Deutschland keinen Platz. Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Ole Schröder sagte, in Deutschland würden Grundgesetz und Strafgesetzbuch und kein Scharia-Recht gelten. "Wir brauchen Richter mit Migrationshintergrund, die deutsches Recht anwenden und keine Richter, die Scharia-Recht anwenden", sagte er zu "Bild". Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Günter Krings, teilte gegenüber der Presse mit: "Die Errungenschaften unseres Rechtsstaates gelten für alle in Deutschland lebenden Menschen – unabhängig von ihrem Glauben. Dieses Prinzip werden wir nicht wegen der Scharia aufgeben."
"Die Scharia steht für ein mittelalterliches Rechtsverständnis. Sie teilt Menschen unterschiedlichen Glaubens in verschiedene Kategorien ein, achtet nicht die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und sieht Strafen vor, die mit der UN-Menschenrechtskonvention nicht vereinbar sind. Wer so etwas für Deutschland fordert, hat den Blick für alle Realitäten verloren", teilte der Vorsitzende der hessischen CDU-Landtagsfraktion, Christean Wagner, mit. "Wir wollen in Deutschland aufgeklärte Muslime, die bereit sind, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren und keine islamischen Parallelgesellschaften, die ihr eigenes Recht sprechen", so Wagner in einer Pressemitteilung.
Auch von den Grünen kam Kritik: Ingrid Hönlinger, Mitglied im Bundestags-Rechtsausschuss, sagte nach Informationen der "Welt", sie bewerte Hartloffs Überlegung "zurückhaltend": "Unsere Justiz muss gewährleisten, dass familienrechtliche Entscheidungen mit dem ordre public, bei dem es ja auch um verfassungsrechtliche Grundsätze geht, in Einklang stehen." Der ordre puiblic sei, so die "Welt", eine Klausel, die in Deutschland die Anwendung ausländischer Gesetze verbietet, wenn diese mit Grundsätzen deutschen Rechts unvereinbar sind. Der Kölner Juraprofessor Hilmar Krüger wies jedoch darauf hin, dass unter dieser Bedingung die Anwendung der Scharia in der Bundesrepublik unter dem "Internationalen Privatrecht" möglich sei, wenn die Scharia im Herkunftsland von Ausländern nach der Verfassung eine Quelle des Rechts sei, etwa in Saudi-Arabien. Auf die größte Ausländergruppe in Deutschland, die Türken, treffe dies jedoch nie zu, "weil die Scharia als Gesetzesgrundlage in der Türkei seit 1926 längst abgeschafft ist".
Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer machte indes bei "Focus Online" auf die Konsequenzen der Scharia aufmerksam: "Das islamisch geprägte Familienrecht hält Frauen lebenslang in Unmündigkeit. Sie sind Tochter eines Vaters, Schwester eines Bruders, Ehefrau eines Mannes. Es entrechtet sie weitgehend." Darum sei die Einführung von Scharia-Gerichten in Deutschland "undenkbar".
Unterstützung vom Ministerpräsidenten
Ungeachtet der Kritik unterstützt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) seinen Minister: "Ministerpräsident Beck steht hinter den Äußerungen, die der Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz gemacht hat", sagte ein Sprecher der Landesregierung gegenüber "Bild". (pro)