Gewalterfahrungen sind für viele Kinder in Deutschland normal, besonders, wenn sie aus sozial schwachen Verhältnissen kommen. Das ist ein Ergebnis der Untersuchung im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Jedes dritte sozial benachteiligte Kind zwischen sechs und elf Jahren gab demnach an, von Erwachsenen geschlagen zu werden. Unter als privilegiert eingestuften Kindern war es ungefähr jedes vierte. Mit zunehmendem Alter lässt die körperliche Gewalt nach. Unter Jugendlichen von 12 bis 16 Jahren wird nach eigenen Angaben rund jeder sechste geschlagen. Für die Studie wurden 900 junge Menschen befragt.
Sozial benachteiligte Kinder machen ebenfalls häufiger Missachtungserfahrungen. Knapp ein Drittel gab an, Erwachsene hätten ihm schon einmal das Gefühl gegeben, dumm und nutzlos zu sein. Etwa ein Fünftel der privilegierten Kinder sagte das ebenfalls. Das Gefühl, weniger wert zu sein als andere, vermittelten Erwachsene jedem vierten Kind aus prekären Verhältnissen, aber nur jedem zehnten aus privilegierten. 84 Prozent der Kinder gaben an, sie fänden diese Erfahrungen „sehr schlimm”. Die Missachtung kommt dabei scheinbar nicht nur von den Eltern, sondern vor allem auch von Pädagogen. Kinder in Armutslagen empfinden ihre Lehrer als wesentlich ungerechter. Fast die Hälfte der sozial benachteiligten Kinder berichtete von ungleicher Behandlung durch Lehrkräfte, bei den Kindern aus gehobeneren Schichten war es ungefähr ein Viertel.
„Kein Klaps, der nicht schadet”
Mobbingerfahrungen durch Mitschüler machen zwei Drittel der benachteiligten und über die Hälfte der bessergestellten Kinder. „Je sozial schwächer die Kinder sind, desto stärker sind die Hänselei-Erfahrungen”, sagte Studienleiter Holger Ziegler bei der Präsentation in Berlin. Bernd Siggelkow, Gründer des Kinderhilfswerks „Die Arche”, erklärte, er kenne kein Kind aus seiner Einrichtung, das nicht in der Schule oder im Bekanntenkreis gemobbt werde: „Da braucht ja nur der eine nicht das Handy zu haben, das gerade in ist, dann ist er schon ein Außenseiter.” In prekären Milieus machten „fast alle Kinder Gewalterfahrungen”. Deshalb plädierte er dafür, in Schulen mehr über Gewaltausbrüche, etwa durch Berliner U-Bahn-Schläger, zu sprechen. Gewalt sei „normal in unserer Gesellschaft geworden”. Siggelkow ist überzeugt: „Wenn wir alle unseren Kindern freundlicher begegnen würden, dann würden wir auch nicht so viel Gewalt in Deutschland haben.”
Die Pädagogin und Schirmherrin der Bepanthen-Kinderförderung, Katharina Saalfrank, war ebenfalls zur Vorstellung der Studie gekommen. „Die meisten Eltern, die gewalttätig werden, sind traumatisierte Kinder”, sagte sie im Hinblick auf die Lebensgeschichte vieler Mütter und Väter. Sie wünscht sich einen neuen Blick auf das Thema Erziehung in Deutschland. Es müsse zum gesellschaftlichen Konsens werden, dass Gewalt, auch wenn es nur um den Klaps auf den Po gehe, zu verurteilen sei. Dem stimmte Studienleiter Ziegler zu: „Es gibt keinen Klaps, der nicht schadet.” (pro)