Jugendschützer prüfen „Deutschland sucht den Superstar“

Bereits zum zweiten Mal kritisieren Jugendschützer die RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS). Ein Jugendlicher war nach seinem Auftritt zu Hause angerufen und beleidigt worden. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat erneut ein Prüfverfahren gegen die Sendung eröffnet.
Von PRO

Der 17-jährige Raymund war vor einer Woche in der Auftaktsendung der Show vor die Jury – Dieter Bohlen, Anja Lukaseder und Andreas Läsker – sowie vor 7,44 Millionen Fernsehzuschauer getreten, um seine Sangeskünste zu demonstrieren. Sein Auftritt misslang, und Bohlen kommentierte: „Ich glaub‘, wenn du in die Berge gehst und rufst, kommt da kein Echo zurück“. Der 17-Jährige erlitt einen Nervenzusammenbruch. Nach Luft schnappend glitt er zu Boden und weinte.

Der sekundenlange Auftritt veränderte Raymunds Leben. RTL hatte Raymunds Vor- und Nachnamen sowie seinen Wohnort eingeblendet. Hämische Zuschauer fanden daraufhin übers Internet seine Telefonnummer heraus und terrorisieren die Familie nun mit beleidigenden Anrufen. Gegenüber „Spiegel Online“ sagte Raymund: „Ich bin völlig fertig. Seit meinem Auftritt klingelt das Telefon pausenlos. Leute beschimpfen und bedrohen mich.“ Noch am Abend der Ausstrahlung riefen anonyme Zuschauer bei ihm an, und das Telefon schrillte die ganze Nacht. Schließlich traten laut „Spiegel Online“ Unbekannte auch die gläserne Haustür der Familie ein.

Untalentierte werden bewusst durchgelassen

Die KJM verurteilt die „hämische Inszenierung“ der weniger talentierten Kandidaten in den Sendungen. Die Casting-Show diene nicht einfach nur dazu, gute Sänger zu finden, sondern sie stelle Menschen bloß und könne damit zuschauende Kinder beeinträchtigen, sagte der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter Ring laut „Welt Online“. Der Medienexperte kritisierte, dass RTL für den Zusammenbruch Raymunds seinen Vater verantwortlich gemacht habe. „Das finde ich verlogen und scheinheilig, nachdem RTL die Kandidaten aussucht“, so Ring.

Nach einem Bericht von „Spiegel Online“ werden alle Bewerber der Sendung von einer anderen Jury vorab ausgewählt. „Um die Flut von bis zu 6.000 Kandidaten pro Castingort zu bewältigen und die Jury nicht unnötig zu belasten, bewerten Musikredakteure in der ersten Casting-Runde die Leistung der Kandidaten“, sagte Anne Haas, Redakteurin bei der DSDS-Produktionsfirma „Grundy Light Entertainment“. RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer bestätigte, dass zur prominenten DSDS-Jury nur solche kommen, die „einem repräsentativen Gesamtdurchschnitt aller Bewerber entsprechen“. Eickmeyer: „Dazu zählen die talentierten Sänger ebenso wie die weniger talentierten.“

Eine Kandidatin, die ebenfalls am Auswahlverfahren in Berlin teilgenommen hatte, sagte gegenüber „Spiegel Online“: „Ich denke, dass die Musikredakteure beim Vor-Casting schon so manchen Freak bewusst weitergeschickt haben. Die sollten dann eine Woche später wiederkommen und mit gleichem Outfit, gleichem Make-up, gleichen Liedern und gleichen Begleitpersonen noch mal vor der echten Jury singen.“ Die 16-jährige Schülerin Eva E. fügte hinzu: „Bei einigen Leuten hat man sich schon verdammt gewundert, warum die in den Recall durften.“ Manchen Kandidaten, die sich augenscheinlich und hörbar nicht zum Popstar eigneten, habe man in dem Glauben gelassen, sie hätten eine Chance.

„Minderjährige verdienen besonderen Schutz“

„Minderjährige verdienen einen besonderen Schutz, und dieser Schutz ist nicht in erster Linie von den Eltern zu leisten, sondern von RTL“, sagt Friedhelm Güthoff, Geschäftsführer des Kinderschutzbundes NRW. Bei der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ vermisst er eine angemessene Sensibilität. „Woher soll der normale Fernsehzuschauer wissen, wie gefährlich ein Fernsehauftritt werden kann?“

Der Sender RTL hält dem entgegen: „Es gibt keinen allgemeinen Bedarf, Kandidaten zu schützen. Inzwischen haben sich über 100.000 Kandidaten bei DSDS beworben. Alle Bewerber kommen freiwillig, mit einer realistischen oder eben unrealistischen Selbsteinschätzung ihres Talents zum Casting. (…) Die Kandidaten geben RTL schriftlich ihr Einverständnis, dass ihr voller Name und der Wohnort genannt werden dürfen“, sagte Sprecherin Anke Eickmeyer. Jeder, der teilnehme, wisse, dass er sich bei einer TV-Show bewerbe und vor einem Millionenpublikum auftrete.

Eventuell Bußgeld für RTL

Die KJM prüft nun, welche Wirkung die Ausstrahlung der Casting-Zusammenfassungen auf Kinder und Jugendliche hat. Ziel des Fernsehens müsse es sein, Kinder in ihrer Entwicklung zu gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten nicht zu stören.

Der KJM-Vorsitzende Ring hatte bereits vor einem Jahr ein ähnliches Verfahren eingeleitet. Schon damals hatte die KJM RTL zu einem Gespräch gebeten und danach eine entsprechende Beanstandung ausgesprochen. Damals habe das Gespräch den Eindruck vermittelt, dass RTL die Beanstandungen bei der nächsten Staffel berücksichtigen werde. „Da hat sich aber nach dem ersten Eindruck nichts geändert“, so Ring.

Auf der nächsten Sitzung der KJM am 19. Februar prüft sie die RTL-Sendung erneut. Sollte sie einen Verstoß feststellen, werde der Sender erneut angehört, und schlimmstenfalls droht den Programmmachern ein Bußgeld.

Auch der Deutsche Kulturrat kritisierte, RTL produziere „billiges Entertainment auf Kosten junger Menschen“. Der Geschäftsführer Olaf Zimmermann sagte, RTL wolle offenbar keinen echten Talentwettbwerb, sondern die Teilnehmer in der Öffentlichkeit bloßstellen.

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