Jugendkrawalle: „Pure Wut bricht sich Bahn“

Kurz vor dem "Internationalen Tag der Jugend" am 12. August sorgen Jugendliche für Schlagzeilen: Krawalle und Zerstörung in London, Demonstrationen in Spanien, Portugal, Griechenland und Chile – seit Anfang dieses Jahres protestieren junge Menschen auf Straßen und öffentlichen Plätzen. Nicht nur die Medien fragen nach Hintergründen und Ursachen der massiven Proteste.
Von PRO

Seit vier Tagen randalieren junge Leute in mehreren englischen Städten,
sie zünden Autos und Häuser an – an vielen Stellen eskaliert die Gewalt.
Den Auslöser gab scheinbar der Tod eines farbigen jungen Mannes, dessen
Hintergründe noch im Dunkeln liegen. Die Randale scheint sich täglich
auszuweiten. Aus der Distanz lässt sich kaum entscheiden, ob es
Prespektivlosigkeit und Protest ist, was die Jugendlichen treibt oder
pure Lust daran, den finanziell besser Gestellten etwas kaputt zu
machen. Einen Teil trägt sicher auch die öffentliche Aufmerksamkeit bei.
Wer einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit vorgerückt ist, möchte dies
nicht gleich wieder verlassen.

Und Trittbrettfahrer gibt es natürlich auch: Laut einem Bericht des "Handelsblattes" haben Dutzende Nutzer in islamistischen Onlineforen in Großbritannien lebende Muslime aufgerufen, sich hinter die Randalierer zu stellen und die Regierung zu stürzen. Außerdem sollten Muslime die Jugendlichen in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter zu weiteren Krawallen ermutigen.

Armut, Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit oder Langeweile und Zerstörungswut: die Ansichten über die Ursachen driften weit auseinander. Auch in Spanien, Portugal, Griechenland, Chile und auch in Israel zeigen Menschen ihre Unzufriedenheit – dort verliefen die Protestaktionen bisher  im Gegensatz zu Großbritannien allerdings völlig friedlich.

Verabredung zum Krawall per Blackberry

Simon Teune, Protestforscher am Wissenschaftszentrum in Berlin, ist trotzdem davon überzeugt, dass die Proteste etwas gemeinsam haben. "Die Leute treibt das Gefühl an, dass sie um ihre Zukunft betrogen werden", sagte er im Interview mit der WDR-Sendung "Morgenecho". In Spanien und Griechenland liege beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit bei 40 Prozent, da sei es "kein Wunder, wenn junge Menschen das Gefühl entwickeln, dass die Politik ihnen keine Perspektive bietet und sie nicht unterstützt." Dies treffe auch auf die anderen Länder zu. Gemeinsam ist den Massenprotesten auf alle Fälle die Vernetzung und Informationsweitergabe im Internet und über Smartphones. In England seien vor allem die Blackberries zu "Werkzeugen der Krawallmacher" geworden. Laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa) besitzt jeder dritte britische Jugendliche einen Blackberry. Deren Messenger-System hilft bei der Verabredung.

Demonstrationen in Ägypten haben gezeigt, wie es funktioniert

"Durch die Aufstände in Ägypten haben Jugendliche genau beobachtet, was woanders möglich ist und wie es funktioniert. Jetzt nutzen sie die Chance, wahrgenommen zu werden – auch in den Medien", erklärte Teune.  Dass der Protest in England so gewalttätige und zerstörerische Ausmaße annimmt, erklärt er damit, dass "sich bei vielen pure Wut Bahn bricht". "Diese Leute würden nicht auf die Idee kommen, zu demonstrieren, weil dies nicht zu ihrem erlernten Repertoire gehört", erklärt der Protestforscher. "Sie sehen keinen Sinn darin, mit Politikern zu reden, weil sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden", so Teune im WDR. "Durch die Krawalle erleben sie sich als Akteure, die eine gewisse Macht haben – anders als im Alltag, dem sie sich eher passiv ausgesetzt fühlen." Wie in Frankreich vor einigen Jahren seien an den Aufständen vor allem benachteiligte Jugendliche aus Migranten-Milieus beteiligt.

Ähnlich sieht das der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer: "Über Gewalt können die Jugendlichen sich erstmal sichtbar als Kollektiv darstellen. Sie gibt das Gefühl, die alltägliche Ohnmacht überwinden zu können und ist zudem dadurch attraktiv, dass sie in bestimmten Situationen hohe Anerkennung bringt – nicht in der Gesellschaft, jedoch in der Binnengruppe der Subkultur", sagte er gegenüber dem Informationsdienst "Pressetext".

Dagegen kämen junge Demonstranten in den südeuropäischen Ländern aus einem anderen sozialen Hintergrund und verfügen oft über eine gute Ausbildung. Sie haben laut Teune erkannt, dass Gewalt die Chancen, gehört zu werden, nicht verbessert.

Anliegen von Kindern und Jugendlichen ernstnehmen

Die UNO hat den 12. August zum "Internationalen Tag der Jugend" ausgerufen. Er soll deutlich machen, wie wichtig es ist, dass sich Jugendliche an der Politik beteiligen. Auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages ruft Jugendliche auf, sich in ihrem Umfeld zu engagieren und ihre Interessen und Anliegen in politische und gesellschaftliche Jugendorganisationen einzubringen. Die Kinderkommission appelliert aber auch an Politiker, den Kindern und Jugendlichen zuzuhören, ihre Anliegen ernst zu nehmen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, Kinder und Jugendliche aktiv in Entscheidungsprozesse einzubinden.

 "Wer will, dass es nicht so endet wie in London, der muss mit den Jungen sprechen und ihnen zuhören", schreibt "Zeit"-Autor Khuê Pham. Jugendliche, die ihre Anliegen artikulieren und Politiker die ihnen zuhören – das wäre ein schöne Perspektive,  nicht nur für den "Internationalen Tag der Jugend". (pro)

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