Journalisten in die Produktion

Wenig Kenntnis, viel Meinung – das Klischee über Journalisten ist zwar ungerecht, aber manchmal nicht ganz abwegig. Egal ob bei der Berichterstattung über Unternehmen, Kirche oder Politik – vielen Medienleuten fehlt die Insiderkenntnis. Das kann man ändern. Ein Gastkommentar von Thorsten Alsleben
Von PRO

Wenn manche Medien recht hätten, wären wir ein Volk von Gefangenen. Jedenfalls vergeht kaum ein Tag, an dem in deutschen Zeitungen, Radio- oder Fernsehnachrichten nicht von „Verhaftungen“ durch die Polizei die Rede ist. Eine „Verhaftung“ liegt aber nur vor, wenn ein Haftbefehl eines Gerichtes umgesetzt wird. Gemeint sind aber meist die wesentlich häufiger vorkommenden „Festnahmen“ ohne Gerichtsbeschluss. Bei denen werden die Betroffenen spätestens nach einem Tag wieder freigelassen, in „Haft“ bleiben sie dagegen deutlich länger. Was in Medien synonym verwendet wird, macht in der juristischen Bewertung und für den Betroffenen einen erheblichen Unterschied.

Oft an der Oberfläche

Auch in der politischen Berichterstattung bleiben die lieben Kollegen oft leider an der Oberfläche. Die wenigsten, die über neue politische Beschlüsse berichten, haben einen blassen Schimmer, welche Auswirkungen diese auf die Praxis haben. Natürlich sucht man hier und da mal ein Fallbeispiel, um die eigene Berichterstattung damit zu garnieren und anschaulich zu machen. Aber zumindest im Fernsehbereich lassen sich die politischen Korrespondenten dieses Beispiel oft von Kollegen zuliefern und haben bestenfalls ein kurzes Telefonat mit dem Betroffenen geführt. Ich muss mir da an die eigene Nase fassen: Als wirtschaftspolitischer Korrespondent in Berlin ließ der Redaktionsalltag häufig keine andere Möglichkeit zu. Wenn das Beispielunternehmen für den abendlich geplanten Bericht in Bayern war, konnte ich ja schlecht selber hinreisen und dort drehen.

Am meisten habe ich aber über die Wirtschaft – über die Herausforderungen für Arbeitgeber und die Sorgen der Arbeitnehmer – gelernt, wenn es doch mal möglich war, einen Betrieb vor Ort zu besuchen, ohne noch am selben Tag den Bericht fertig machen zu müssen. Dann konnte ich in Ruhe mit dem Geschäftsführer und dem Betriebsrat sprechen und wichtige Informationen recherchieren, die ich zwar nicht in den 90 Sekunden meines Berichtes unterbekommen habe, die mir aber doch für die Einordnung und das grundsätzliche wirtschaftliche Verständnis geholfen haben. Hilfreich waren auch Recherchetermine, die gar nicht mit Berichterstattung verbunden waren. Zwei Tage als „Praktikant“ in einem Job-Center in Berlin haben mir mehr Erkenntnis über die Erfolge und Misserfolge von Hartz-IV gebracht, als alle Hintergrundgespräche mit Politikern, Gewerkschaftern und Vertretern der Wirtschaftsverbände zusammen.

Ähnlich in der Politik: Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich erst nach meinem Wechsel aus dem Journalismus ins Bundesarbeitsministerium wirklich erfahren habe, wie in einem Ministerium politische Vorgänge vor- und nachbereitet oder verhindert werden und wer welchen Einfluss hat. In wenigen Wochen habe ich da mehr gelernt als in neun Jahren Korrespondententätigkeit.

Kirchen leiden unter medialer Ignoranz

Auch die Kirchen „leiden“ oft unter medialer Ignoranz. Wenn aus der „Diözese“ die „Diäzöse“ wird, ist das noch als skurriler Schreibfehler abzutun. Aber wenn aus „freikirchlich“ „freichristlich“ wird oder gar „christlich fundamentalistisch“, dann ist das oft fehlende Sachkenntnis, die unbewusst Meinung macht.

Dabei wäre es leicht möglich, etwas zu ändern. Dafür müssen Journalisten nicht Jura, BWL oder Theologie studieren. Die Medienhäuser müssten ihre Journalisten nur verpflichten (oder es ihnen zumindest ermöglichen), dass sie mehrtägige Kurzpraktika bei den Objekten ihrer Berichterstattung machen: beim Pfarrer, auf der Polizeistation, im Unternehmen, im Ministerium oder auf dem Arbeitsamt. Solche „Fortbildungen“ würden sich lohnen – übrigens für beide Seiten. Denn auch Unternehmern, Kirchenvertretern und Amtschefs hilft es, wenn ihnen die Journalisten mal über ihre eigenen Nöte und Arbeitsweisen berichten können. (pro)

Thorsten Alsleben (39) war neun Jahre lang wirtschaftspolitischer Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio und ist jetzt Hauptstadt-Repräsentant der Unternehmens- und Personalberatung Kienbaum. Der Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro erschienen, das kostenlos unter info@kep.de bestellt werden kann.

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