„Journalismus hat sich nach Gewalttaten von der AfD treiben lassen“

Wenn nach einer Gewalttat der Tatverdächtige Ausländer ist, reagieren Medien härter und ausdauernder. Der Wissenschaftler Thomas Hestermann hält das für bedenklich. Dabei habe die Herkunft von Tätern bis 2014 in den Medien gar keine Rolle gespielt.
Von Johannes Blöcher-Weil
Die Leitmedien ordnen Gewaltkriminalität wie die AfD ein

Der Journalistik-Professor Thomas Hestermann erforscht seit 2007 die Gewaltberichterstattung in deutschen Medien. Er sieht frappierende Unterschiede, wenn diese nach einer Gewalttat über die Herkunft des Täters berichten. Bei ausländischen Tatverdächtigen überwiege „eine flammenden Empörung“, bei deutschen Gewalttätern regiere oft „Gleichgültigkeit“.

„Ereignisse verlaufen medial völlig anders, wenn der Tatverdächtige ein Ausländer ist“, betont der Wissenschaftler in einem Interview mit der „Zeit“. Im Internet werde nach solchen Vorfällen wie in Mannheim häufig nach der Herkunft der Täter gesucht. Hestermann selbst untersucht, wer nach solchen Taten in den Medien zu Wort kommt oder was die Leser über den Tatverdächtigen oder das Opfer erfahren.

Zu Beginn seiner Forschungen sei das Opfer die zentrale Figur gewesen. Seit ein paar Jahren gehe es in erster Linie um den Tatverdächtigen. Ihm sei bewusst, dass Angst ein erträgliches Geschäft sei. „Aber nur negative Emotionen zu bedienen, vergiftet die Gesellschaft.“ Oft bleibe unerwähnt, dass ein Taxifahrer mit pakistanischen Wurzeln den deutschen Tatverdächtigen in Mannheim gestoppt habe. Als die Herkunft des Täters feststand, hätten die Medien das Interesse verloren.

„Leitmedien ordnen Gewaltkriminalität wie die AfD ein“

Hestermann kritisiert, dass die Medien über Gewalt nach den Deutungsmustern der AfD berichten. Die AfD habe in 95 Prozent der Fälle die Herkunft des Tatverdächtigen erwähnt, wenn dies ein Ausländer war. Ähnlich hoch lag die Zahl im Vergleichszeitraum in den Medien mit 93,5 Prozent: „Die deutschen Leitmedien ordnen Gewaltkriminalität nahezu genauso ein wie die AfD.“

Hestermann bemängelt, dass sich der Journalismus zu oft von der AfD treiben lasse. Redaktionen müssten sich oft den Vorwurf anhören, die Wahrheit zu verschweigen. Der Wissenschaftler wünscht sich professionelle Redaktionen, die nichts verschweigen, aber auch die Verhältnismäßigkeit wahren.

„Das Grundmuster der Verzerrung, bei Gewaltdelikten völlig überproportional über ausländische Tatverdächtige zu berichten, gilt quer durch die Branche“, weiß Hestermann. Er plädiert für klare Regeln bei der Nennung der Herkunft des Täters, alles andere sei journalistisch unprofessionell. Die Kriminalstatistik zeige, dass die Einwanderung nicht die Gefahr erhöht habe, Opfer eines Delikts zu werden. Außerdem dürften die Medien insgesamt stärker gelingende Einwanderungsgeschichten zu zeigen. Das bleibe viel zu oft unsichtbar, findet er.

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