Jesus war kein Vegetarier

Wie weit darf man gehen, um mit biblischen Texten für moderne gesellschaftliche Anliegen zu argumentieren? Für Sebastian Moll, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz, ist der Bogen längst überspannt. Ob Vegetarismus, Frauenrechte oder die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Liebe: Nicht alle zeitgenössischen Forderungen sind für ihn direkt aus der Bibel ableitbar.
Von PRO

Wer unter dem Titel "Jesus war kein Vegetarier" eine Abhandlung über Jesu Essgewohnheiten erwartet, wird gleich auf den ersten Seiten eines Besseren belehrt. Denn die Ambitionen des Autors liegen höher: Der promovierte Theologe nimmt sich nichts Geringeres vor, als die Vereinnahmung biblischer Texte durch zeitgenössische Ideologien aufzuzeigen und zu hinterfragen. Außerdem wehrt er sich gegen das unausgesprochene Tabu, der offiziellen Linie der Evangelischen Kirche offen zu widersprechen.

Als Angestellter an einer theologischen Fakultät ist dieser Vorstoß nichts anderes als eine Kollegenschelte. So fragt der Autor nach der theologischen Redlichkeit, wenn seine Zunft einen biblischen Vegetarismus konstruiert, um ihren eigenen Anliegen eine scheinbar solide Basis zu verschaffen oder auch nur zwecks gesellschaftlicher Konformität der Kirche. Dabei lässt er die angeblichen theologischen Argumente geschickt ins Leere laufen: Weder aus dem Status der Tiere als Mitgeschöpfe noch aus dem gebotenen Respekt vor der Schöpfung lasse sich ein Verzicht auf Fleisch ableiten. Denn im Gegenteil zeige sich gerade im Gebrauch von Fleisch als Nahrung der Respekt vor der Schöpfung. Hingegen bedeute der Verzicht (mit dem Argument der Unreinheit des Fleisches) eine Verachtung der Schöpfung, wie der Autor mit Timotheus 4,1-4 untermauert. Auch Jesus selbst dürfte bei genauerer Betrachtung kaum als lupenreiner Vegetarier durchgehen. Der drögen Verzichtsethik unserer Tage stellt er die lebensbejahende Botschaft der Bibel, die Einladung Gottes selbst entgegen: "Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise…." (1. Mose 9,3).

Auf diese Weise wird auch der Einsatz der Kirche im Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen und Juden beleuchtet. Sebastian Moll geht es weniger darum, alle kirchlichen Vorstöße dieser Art prinzipiell infrage zu stellen. Seine Absicht ist es lediglich aufzuzeigen, dass es allzu gekünstelt wäre, deren Anliegen in den Texten der Bibel zu finden oder gar mit ihnen zu rechtfertigen, wie es die verschiedenen kirchlichen Erklärungen tun. In diesem Sinne kann auch die seiner Auffassung nach historisch kaum haltbare Übersetzung der "Bibel in gerechter Sprache", derzufolge unter den Aposteln auch Apostelinnen waren, vom Autor als ein Exempel unglücklicher Versuche gerügt werden.

Das Buch ist mit Witz und pointiert geschrieben. Umgekehrt bedeutet dies aber, dass es einer gewissen Polemik nicht entbehrt, die gelegentlich auch über das Ziel hinausschießt. Hier irritiert der Name des Verlages, in dem das Buch erscheint: "Berlin University Press" (bup) versteht sich nicht als klassischer Universitätsverlag mit hohem wissenschaftlichen Anspruch an seine Publikationen. Aus diesem Grund darf es sich der Autor herausnehmen, wissenschaftlichen Argumenten lediglich seine Lesefähigkeiten und seinen gesunden Menschenverstand entgegenzusetzen.

In dieser Aufmachung liegt freilich auch die inhaltliche Pointe des Werks: Sein Kernanliegen ist die Rückbindung theologischer Argumentation an den gesunden Menschenverstand. So äußerte sich der Autor gegenüber der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt": "Die deutsche Theologie wird oft nur noch als historische Kulturwissenschaft betrieben. Sie vergisst zu fragen, wofür man das eigentlich macht. Die Forschung wird zum Selbstzweck." Der Theologie bescheinigt er in dem Interview daher auch eine Sinnkrise, der Kirche wirft er vor, sich in aktuelle gesellschaftliche Debatten zu verrennen und dabei ihre Hauptaufgabe zu vergessen: die Botschaft der Erlösung und der Überwindung des Todes den Menschen nahe zu bringen.

Als polemisch-kritischer Einwurf ist das Buch überaus empfehlenswert, dem Autor eine große Leserschaft zu wünschen. (pro)

Sebastian Moll: "Jesus war kein Vegetarier"
Berlin University Press
110 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3862800193

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