Jesus und die „Glaubensgymnastik“

Die Wochenzeitung "Die Zeit" macht in ihrer Osterausgabe eine Bestandsaufnahme des Glaubens in Deutschland. Ihr Ergebnis: Zwischen fundamentalistischem Mono- und Atheismus macht sich die Esoterik breit.
Von PRO

"Yoga mit Jesus" lautet die Überschrift der mehrseitigen Artikelserie, die mit einer Analyse der aktuellen Situation von Religionen in der Bundesrepublik beginnt. In den letzten 150 Jahren hätten sich zu diesem Thema gegensätzliche Positionen entwickelt. Während die These von der Säkularisierung davon ausgehe, dass sich die Gesellschaft bis zum vollständigen Atheismus immer weiter entkirchlicht, gehe die Annahme von der Resakralisierung davon aus, dass Europa eine Rückkehr der Religion erlebe. "Beides hat sich nicht bewahrheitet", urteilt "Die Zeit". "Stattdessen existieren heute Kampfatheismus und Neofundamentalismus nebeneinander. Und in der Mitte der westeuropäischen Gesellschaften ereignet sich eine Postmodernisierung des Religiösen: Alles wird mit allem gemischt."

Die Wochenzeitung nennt für diese der Fachwelt als Synkretismus bekannte Religionsvermischung einige Beispiele. "Wo die Frommen aussterben, nimmt man mit Ketzern vorlieb. Und so gibt es in kirchlichen Räumen mittlerweile nicht nur Yoga, Reiki, Psychodrama und ‚ganzheitliche Massage‘, sondern auch ‚intuitives Bogenschießen’". Der Besuch in Klostern sei auch für Atheisten heutzutage "in". Die Seminare des Benediktinermönchs Anselm Grün beispielsweise seien schon lange im Voraus ausgebucht. Moderne Spiritualität bedeute in erster Linie Innerlichkeit, Unmittelbarkeit und Unverbindlichkeit: "Das Bequemste am Patchwork-Glauben ist natürlich, dass man ihn unverbindlich praktizieren kann."

Darf man seinen Glauben eigenständig zusammenbasteln?

In zwei Pro/Contra-Beiträgen fragt "Die Zeit" nach der Legitimität der modernen Vermischung von Religionen. Darf jeder seinen eigenen Glauben zusammenstellen? Ja, meint Feuilleton-Autor Maximilian Probst: "Angenommen, meine Kinder interessieren sich für Religion. Sollten sie sich dann entscheiden müssen zwischen Christentum und Buddhismus? Sollten sie sich der Logik des Entweder-oder unterwerfen, die alles sauber sortieren zu müssen glaubt: in Freund oder Feind, drinnen oder draußen, fremd oder heimisch?"

Der Journalist Patrik Schwarz, der die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" mit aufgebaut hat, ist anderer Ansicht. "Ich kann mir Gott nicht passend machen, sonst wäre er nicht Gott", argumentiert er. "Es ist der Unterschied zwischen der Überzeugung: Gott ist auch ohne mein Zutun da, und der Idee: das bisschen Gott, das ich brauche, mache ich mir selber."

Kirche und Moschee als Treffpunkt

Der Artikel "Kirche ist ein cooler Ort" schildert die Erfahrungen von drei Müttern aus Berlin, für die die Gethsemanekirche zu einem Treffpunkt geworden ist, zuerst aus praktischen Gründen wie dem nahegelegenen Spielplatz. Der Glaube spiele auch durch die neugierigen Fragen ihrer Kinder und deren Engagement im Chor der Kirche eine zunehmende Rolle: "Man könnte sagen, wir schauen dabei zu, wie sich die Religion langsam wieder in unser Leben einschleicht", berichtet Autorin Stefanie Flamm. Ihre Freundin Tatjana sei mit einem Muslim verheiratet und ließ ihre Kinder taufen, als der auf einer Dienstreise war. Nach seiner Rückkehr hätten sie sich entschlossen, die Söhne auch nach islamischer Tradition zu beschneiden. "Mein Gott ist einer, der uns zuhört", so Tatjana, "auch in der Moschee."

Der bekannte Journalist Klaus Harprecht widmet sich in seinem Beitrag der Frage nach der Auferstehung Christi und beklagt, dass ein Großteil der Kirchenmitglieder nicht mehr an diese Lehre glaube. "Die Päpste, Kardinäle, die Bischöfe führen sich auf, als gäbe es dieses dramatische Problem nicht: dass die Majorität der europäischen Christen die Grundsubstanz des Glaubens leugnet", schreibt er. Und weiter: "Unter den evangelischen Theologen ist jede seriöse Debatte über diese wahrhaft ‚letzte Frage‘ verstummt. An den Gräbern retten sich die Pastoren, wie ein prominenter Kirchenlehrer dieser Tage sagte, meist in die wolkige Beschwörung einer vagen transzendentalen Hoffnung."

In einem Kurzinterview mit dem Rostocker Universitätsprediger und Yoga-Enthusiasten Thomas Klie kommt schließlich wieder die Esoterik zur Sprache. "Bringt Yoga Sie nie in Konflikt mit dem Christentum?" fragt "Zeit"-Reporterin Evelyn Finger. "Nein", antwortet der, "wenn Übungsanweisungen ins Esoterische kippen, blende ich das aus". Die Kritiklosigkeit gegenüber esoterisch aufgeladenen Begriffen wie "Energie" sei etwas, das ihm am Yoga-Boom missfalle. Jesus hätte es mit seiner tiefen Verwurzelung in die jüdische Kultur sicher nicht nötig, Yoga zu machen: "Ich glaube nicht, dass er in der Wüste Glaubensgymnastik gemacht hat." (pro)

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