Jan Fleischhauer: „Kirche ist Greenpeace mit Handauflegen geworden“

Gibt es einen Himmel und eine Hölle? Darf die Kirche überhaupt noch von Sünde sprechen? Auf diese Fragen hatten der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer und der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, in einer Talksendung des Hessischen Rundfunks am Samstag erstaunlich unterschiedliche Antworten. Die Rollen schienen irgendwie vertauscht.

Von PRO
Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer wünscht sich von der Evangelischen Kirche viel mehr klare Antworten auf Fragen der Moral. Die Kirche wolle ihrer Rolle als eine Orientierung gebende Instanz offenbar immer mehr abschütteln, sagte er in der HR-Sendung „Horizonte“ am Samstagnachmittag. Dabei sei sie eventuell inzwischen etwas „zu weit“ gegangen. Der Journalist spricht von einer „Selbst-Säkularisierung“ der Kirche.

„Heute scheut man sich sehr stark, den Leuten noch zu sagen, was man für richtig hält, oder Vorschriften zu machen. Stattdessen gibt man sozusagen im Gottesdienst das Bastkörbchen herum, in das alle ihre guten Gedanken hineinlegen dürfen. Das ist so eine Art Greenpeace mit Handauflegen. Ich halte das für einen Irrweg“, so Fleischhauer. Die Kirche wolle den Menschen nicht mehr wirklich ins Gewissen reden, sondern nur noch beraten. „Das hat so ein bisschen einen Sozialarbeiter-Sound“, so Fleischhauer. „Aber ins Gewissen reden heißt etwa, einem 50-jährigen Ehemann, der seine Frau für eine 30 Jahre jüngere Frau verlässt, zu sagen: ‚Das ist nicht anständig, das tut man nicht!‘ So redet die Kirche heute nicht mehr.“

Kirchenpräsident Jung warnte daraufhin davor, Menschen auf diese Art „vorzuführen“. Die Zeiten seien vorbei, in denen man die Menschen von der Kanzel herab maßregelt. Den Menschen ins Gewissen reden, passe eher in ein persönliches Seelsorgegespräch. Statt mit Hölle und Verdammnis zu drohen sollte die Kirche die Menschen stärken.

Fleischhauer betonte, dass die Kirche ein „Privileg“ habe, „das sie von weltlichen Erlösungsbewegungen unterscheidet“. Und das sei zum Beispiel die „Auskunftsfähigkeit über das Jenseits“ oder einen Begriff wie „Sünde“ zu haben. „Wenn Sie heute in einen evangelischen Gottesdienst gehen, dann hören Sie nichts mehr von Sünde.“ In dem Moment, wo die Kirche in Konkurrenz zu weltlichen Erlösungsbewegungen trete, wie Greenpeace, Amnesty International oder die Grünen, verliere man möglicherweise auch Mitglieder. „Denn wenn ich bei Greenpeace sein möchte, dann kann ich ja gleich da eintreten.“

Auf die Frage des Moderators, Meinhard Schmidt-Degenhard, ob die Kirche nicht wieder mehr von der Sünde und Verdammnis predigen könne, antwortet Jung: „Wollen Sie das wirklich? (…) Mir liegt immer sehr viel daran, dass das nicht eine einseitige Vertröstung auf das Jenseits wird, sondern dass Menschen im Hier und Jetzt gestärkt werden.“

Fleischhauer erwiderte, es erstaune ihn, wie undeutlich die Antwort von Protestanten auf die Frage sei, ob es Himmel und Hölle gebe. „Das ist interessant, denn das ist doch eigentlich das, was ich von der Kirche erwarte.“ Jung wiederum wollte die Begriffe Himmel und Hölle eher auf das diesseitige Leben verstanden wissen.

Verunsicherung beim Thema Homosexualität

Die Sendung „Horizonte“ mit dem Titel „Bis dass der Tod Euch scheidet“ handelte von der Frage, ob die Kirche homosexuelle Partnerschaften segnen solle. Jung sagte dazu: „Ich glaube, dass es Gott gefällt, dass zwei Menschen aus ihrer Lieber heraus Ja zueinander sagen und sich versprechen, für einander da zu sein und dauerhaft Verantwortung zu übernehmen und aus dieser Liebe heraus um Gottes Segen bitten.“

Fleischhauer erklärte, er beobachte eine „gewisse Verunsicherung“ in der evangelischen Kirche zur Frage, ob die Institution Ehe überhaupt noch normativ ist, ob dazu also eine Regel für alle aufgestellt werden könne. Das Familienpapier der EKD, das er vollständig gelesen habe, gebe diese Norm jedenfalls nicht mehr vor. „Wenn man für alles Verständnis hat, für die Geschiedenen ebenso wie für die Gleichgeschlechtlichen und diejenigen, die sich ganz normal verheiraten, dann wird man natürlich irgendwann beliebig.“

Jung erwiderte, die EKD habe mit dem Papier keineswegs das Leitbild der Familie aufgegeben. Mit der Ehe seien gewisse Werte verbunden, und die müssten dann auch konkret gelebt werden. Jung gab zu, dass im Alten Testament steht, dass Homosexualität für Gott ein „Gräuel“ sei, und auch im Neuen Testament gebe es Stellen, die sie zurückweisen. Doch man müsse „umdenken“, so Jung. „Wir müssen Homosexualität anders sehen. Homosexualität gehört zur Schöpfung.“ Aber er bekomme zu diesem Thema viele Briefe, in denen sich die Menschen klar gegen diese Position stellen.

Beide Diskutanten waren sich darüber einig, dass „Patchwork-Familien“ und solche mit gleichgeschlichtlichen Eltern eine Minderheit in der Gesellschaft darstellen. Fleischhauer stellte daher die Frage, ob sich die evangelische Kirche deswegen nicht zu sehr um Minderheiten kümmere. Der Moderator der Sendung sagte entsprechend: „Die Kirche kümmert sich also um Minderheiten, kein Wunder, dass die Mehrheiten austreten.“ Jung erwiderte, dass viele Menschen die neue Orientierung der Kirche gut fänden, vor allem jüngere. (pro)
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