Jährlich werden 48.000 protestantische und 46.000 katholische Trauungen durchgeführt. In vielen Fällen sei dies für die Pfarrer eine „Begegnung mit Ungläubigen, Konfessionslosen und Ausgetretenen“. Trotzdem müsse der Schwur zur lebenslangen Treue die Evangelische Kirche eigentlich verunsichern, weil der Rat der EKD vor Wochen eine Orientierungshilfe zur Ehe und Familie herausgebracht hatte, in dem dies eine untergeordnete Rolle spielt.
Evangelikale störe die Bejahung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, liberale Protestanten vermissten darin ein klares Bekenntnis zu eben jener lebenslangen Ehe, meint Kamann. Bei evangelischen Trauungen würden Paare dieses Ideal „mit Gottes Hilfe“ bejahen. Die Katholische Kirche betrachte die Ehe sogar als Sakrament, das sich Braut und Bräutigam spendeten. Spitzenvertreter einiger Landeskirchen bemängelten, dass mit dem Papier die Botschaft des Matthäus-Evangeliums „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ verwässert werde. Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hatte bereits klarstellende Ergänzungen angekündigt.
Überfordern Paare sich selbst?
„Viele Paare neigen dazu, sich zu überfordern“, sagt der hessische Propst Helmut Wöllenstein gegenüber der Tageszeitung Die Welt. Er plädiert für eine kluge Beratung der Paare. Vor der Trauung müssten Pfarrer fragen, ob sie „wirklich wissen, was sie da versprechen“. Zudem werde die Eheschließung von vielen „nicht mehr als Übergang in eine ganz neue Lebensphase verstanden, sondern, weil die Paare ja oft schon seit Jahren zusammenleben, als Bekräftigung und Segnung einer bereits existierenden Lebensform“. In seiner Landeskirche in Kurhessen-Waldeck hätten Paare sogar die Chance offenere Formulierungen zu nutzen, wie „in der Zeit, die Gott euch geschenkt hat“.
Gottes Segen gibt Verbindlichkeit
Für den Hamburger Pastor Martin Hoerschelmann schafft die Trauung mit Gottes Segen eine zusätzliche soziale Verbindlichkeit. Er versuche das Paar darin zu bestärken. In der EKD-Orientierungshilfe empfindet er vieles als „zu beliebig“ und nicht immer theologisch gründlich. Die eigentliche Frage der Orientierungshilfe hätte auch lauten können, wie es möglich sei, „Beziehungen mit christlichen Gedanken und Formen zu inspirieren“? In seinen Trauungen versuche er, den Paaren die Realität der Kraft Gottes deutlich zu machen. Mitgestaltungsmöglichkeiten der Paare und ihrer Angehörigen befürworten die Theologen, weil damit „ganze Familien in die gottesdienstliche Handlung einbezogen“ werden.
Scheidung als eigene Schulderfahrung
Als „Erfahrung von Schuld“ betrachtet Hannovers Landesbischof Ralf Meister in einem Interview mit Matthias Kamann das Scheitern seiner eigenen Ehe: „Wir konnten das Gebot und die Verheißung dieser Ehe, die wir in Liebe eingegangen sind, nicht erfüllen. Diese Schuld braucht Vergebung.“ Er selbst versuche einem Paar, das sich trauen möchte, offen zu begegnen und einen Deutungsrahmen zu bieten, „in dem diese Ehe als kirchlich geschlossene zu verstehen“ ist. Die kirchliche Trauung „hat eine ganz eigene Qualität“. Viele Paare wollten den „Beistand einer größeren Macht in ihrer Liebe sehen und das öffentlich machen, vor Gott und der Gemeinde“.
„Das ursprüngliche Bild zweier Menschen, die sich für ihr ganzes Leben aneinander binden, ist in der Bibel das Bild von Mann und Frau“, äußert der Theologe. Es müsse aber auch „gottesdienstliche Formen für die Segnung jener Paare geben, die in vergleichbarer Weise ihre Gemeinschaften vertrauensvoll und verbindlich leben“. Viele Homosexuelle wünschten sich „eine der Trauung gleichgewichtige, angemessene und würdige Segenshandlung in einem Gottesdienst in der Kirche zu haben, die ihrer Partnerschaft die Zusicherung von Gottes Beistand gibt“.
Mehr Mut zur Festlegung
Die EKD-Orientierungshilfe verwische oder relativiere biblische Aussagen, indem auch all die anderen Formen für eine Ehe additiv aufgezählt werden: „Man hätte einfach mal ein paar starke biblische Aussagen stehen lassen können.“ Meister fehlt hier an vielen Stellen „Mut zur Festlegung auf eine Deutung der Bibel“. Wer an der Ursprünglichkeit der Ehe festhalte, könne fragen, ob gottgewollte Grundprinzipien der Ehe auch in anderen Beziehungen zu finden sind, also Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit, von denen die Orientierungshilfe spricht: „Wenn dies der Fall ist, und das ist auch in homosexuellen Lebenspartnerschaften eindeutig der Fall, dann lassen diese Formen sich theologisch konsistent würdigen, ohne die Ursprünglichkeit der Ehe zu beschädigen.“ (pro)