Georg M. Hafner, geboren am 3. Oktober 1947 in Heidelberg, arbeitete jahrelang für den Hessischen Rundfunk. Für seine Filme hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter die Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR). 2012 befasste er sich in dem Dokumentarfilm „München 1970. Als der Terror zu uns kam“ mit palästinensischem und linkem Terrorismus. 2015 erschien das mit Esther Schapira verfasste Buch „Israel ist an allem Schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird“.
pro: Herr Hafner, jahrelang haben Sie linke Bewegungen gutgeheißen, auch wenn diese mit palästinensischen Terroristen zusammengearbeitet haben. Dabei kam Ihr Onkel, der ZDF-Reporter Rudolf Crisolli, 1970 bei einem palästinensischen Terroranschlag ums Leben. Wie erklärt sich die Haltung?
Georg Hafner: Ich ertappe mich dabei, dass ich in der Hinsicht völlig naiv war. Ich habe die Kommune 1, also die ehemalige politisch motivierte Wohngemeinschaft in Westberlin, verehrt, für mich war das Freiheit, frech, antibürgerlich. Aber ich habe mich nie gefragt, warum Leute wie Dieter Kunzelmann im Knast waren. Kunzelmann steckt immerhin hinter dem Anschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus in Berlin am 9. November (!) 1969, ließ sich in palästinensischen Terrorcamps ausbilden, hetzte gegen Juden und Israel. Da war ich auf dem linken Auge völlig blind. Wie viele meiner Generation.
Wie kam der Sinneswandel?
Bei mir war es die Arbeit an der Dokumentation „Der Tod lebt weiter“ von 1998 über Kinder, die Auschwitz überlebt hatten, und ihre Familien. Ich begegnete damals zum ersten Mal persönlich einer Auschwitz-Überlebenden, einem Mengele-Zwilling. Als sie plötzlich vor mir saß und ich die Auschwitz-Nummer auf dem Arm sah – das war furchtbar. Nur mit Esther Schapira, meiner Kollegin und späteren Frau, hat sie gesprochen, auf Jiddisch. Ich fühlte mich in diesem Augenblick schuldig, mitverantwortlich für das, was meine Väter getan haben. Das hat bei mir einen tiefen Schnitt hinterlassen, sehr spät, aber nicht zu spät. Es hat einen Prozess angestoßen, der dann durch die Arbeit am Dokumentarfilm über den Kriegsverbrecher Alois Brunner vertieft wurde. Brunner war die rechte Hand Adolf Eichmanns, verantwortlich für den Tod von 120.000 Juden, und er saß bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren unbehelligt in Syrien – auch weil er für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hat.
Israel war vorher nie auf dem Schirm?
Israel war ein blinder Fleck. Ich kannte die historischen Daten, ich wusste, warum es Israel gibt. Aber ich hatte keine Ahnung, was dort vor sich geht. Und mir ist nie den Sinn gekommen, dass mit der Haltung der politischen Linken zu Israel etwas falsch sein könnte. Auch wenn ich mich mit den Linken journalistisch befasst habe, habe ich leider nie danach gefragt, wie es sein kann, dass sich Menschen, die von sich glauben, mit der Nazivergangenheit der Eltern nichts zu tun zu haben, gegen den jüdischen Staat stellen.
Warum wird linker Antisemitismus bis heute kleingeredet?
Die Devise ist: Ich bin links, also kann ich kein Antisemit sein. Um es deutlich zu sagen: Ich habe große Sympathien dafür, dass sich Leute für unterdrückte Völker einsetzen. Das ist eine gute linke Tradition. Nur bei Israel wird vieles ausgeblendet. Keinen einzigen Krieg hat Israel selbst angezettelt, das Land hat sich oft in letzter Minute vor seiner Vernichtung gerettet. Nun wird vor allem von linken Bewegungen gefordert, Israel solle die besetzten Gebiete räumen, um des Friedens willen. Tut es das wie in Gaza, antwortet die Hamas mit Raketenbeschuss. Aber die linken Lippen bleiben geschlossen.
Vor wenigen Monaten war sogar zu sehen, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Grab des Palästinenserführers und Terroristen Jasser Arafat den Kopf neigt.
Das war eine vollkommen unnötige Ehrerbietung. Ich weiß nicht, wie man auf so eine Idee kommen kann. Ich schätze, Mahmud Abbas hat ihn dazu überredet – um der Bilder willen, das wertet ihn und seine Fatah auf. Steinmeier ist damit natürlich kein Antisemit. Aber er hat sich vor einem Judenfeind verneigt und damit Antisemiten gestärkt. Das ist die Schwierigkeit.
Können Dokumentationen wie „Auserwählt und ausgegrenzt“ dabei helfen, über linken Antisemitismus und Israelfeindlichkeit aufzuklären?
Dieser Film hat viel erreicht. Er zeigt viele erschreckende, aber auch erstaunliche Szenen. Ich denke zum Beispiel an die jungen Palästinenser im Gazastreifen, die ihre eigene Regierung kritisieren. Vor allem bietet die Dokumentation einen Resonanzboden für Stimmen, die sonst nie gehört werden – gerade aus der jüdischen Gemeinde. Handwerklich lässt sich an der Dokumentation durchaus einiges kritisieren. Aber vor dem Hintergrund, welche Wirkung der Film erzielt hat, ist diese Kritik sekundär. Noch interessanter nämlich als der Film selbst ist das, was er ausgelöst hat. Da ist zum einen die Reaktion aus jüdischen Kreisen. Meine Tochter Sophie Hafner hat an dem Film mitgewirkt, und ich kenne viele Leute, die mir gesagt haben: Richten Sie Ihrer Tochter aus, dass wir ihr für diesen Film danken. Und da ist zum anderen die einzigartige Abwehrreaktion, die Heftigkeit, mit der erst Arte und dann auch der WDR sich geweigert haben, diesen Film überhaupt auszustrahlen und schließlich die skandalöse Form, in der er in der ARD vorgeführt wurde.
Warum ist um diesen Film derart gestritten worden?
Der Film ist ein Statement nach dem Motto: „Jetzt hört uns mal zu.“ So gesehen ist es kein objektives journalistisches Werk, das sich allen Seiten auf gleiche Weise annähert. Es ist eine filmische Streitschrift, die provozieren und zur Diskussion anregen will. Und das ist vollkommen legitim. Der Erfolg des Films gibt den Autoren Recht. Kein Mensch hätte über diesen Film diskutiert, wenn er sang- und klanglos bei Arte gelaufen wäre. Dass der WDR einen Film ausstrahlt mit einem Faktencheck, der bei näherer Betrachtung an vielen Stellen völlig daneben ist und eher Meinung als Fakten wiedergibt, ist bodenlos. Die Autoren auf diese Art und Weise vorzuführen, und sie dann in der anschließenden Talkrunde nicht zu Wort kommen zu lassen, ist ein Unding. Das kam einer Hinrichtung gleich. Ich bin 45 Jahre in diesem Job gewesen, und ich habe so etwas noch nie erlebt.
Fehlt es an Sensibilität für das Thema Israel?
Es fehlt ganz entschieden an Detailwissen und an Empathie. Der Liedermacher Wolf Biermann hat es einmal „die unerträgliche Besserwisserei der Wenigwisser“ genannt. Vielen ist zum Beispiel nicht klar, dass es vor 1967 keine israelische Besatzung gab – und Israel dennoch angefeindet wurde. Interessant auch: Bis zu diesem Zeitpunkt hat niemand von Besatzung geredet. Dabei war palästinensisches Gebiet besetzt, nur eben nicht von Israel, sondern von Jordanien und Ägypten. Und Israel erhitzt die Gemüter. Ich habe mich bei diesem Thema sogar mit alten Freunden derart zerstritten, dass wir nicht mehr miteinander reden können.
Wie lassen sich diese Wissenslücken schließen?
Es würde helfen, sich das Ganze einmal vor Ort anzusehen. Ich glaube, dass die Zahl derer, die nach Israel reisen und bei der anti-israelischen Haltung bleiben, marginal ist. Wer nach Israel fährt, kann seine politische Haltung nicht behalten. Meine Tochter ist ein gutes Beispiel: Sie war sehr links, sehr für die Sache der Palästinenser und die Rückkehr aller Flüchtlinge. Als wir dann durch Israel fuhren, sagte sie: Das geht gar nicht, das Land ist viel zu klein. Und sie fragte: Wieso ist Jordanien eigentlich nicht der Staat der Palästinenser, wenn sie doch die Mehrheit stellen?
Warum berichten dennoch viele Journalisten vor Ort verzerrt über Israel?
Das liegt zum Teil an den Gegebenheiten vor Ort: Wenn die israelische Regierung halb so gute PR machen würde wie die Palästinenser, würden wir ein anderes Bild von Israel und dem Konflikt haben. Zum anderen wissen viele Korrespondenten nur zu genau, was zu Hause ankommt. In der Heimatredaktion in Deutschland und bei ihren Zuschauern, Zuhörern, Lesern. Problematisch ist auch, dass bei vielen Journalisten das Urteil schon vor der Recherche feststeht, übrigens nicht nur bei Israel. Sie suchen dann nur noch Leute, die ihre Meinung bestätigen. Als Journalist muss ich aber ergebnisoffen recherchieren, Gegenpositionen in Erfahrung bringen. Als Fernsehjournalist darf ich nicht der Bildbeschaffer für die Bilder im Kopf meiner Zuschauer sein. Ich muss das Bild hinterfragen. Und ich darf mich nicht vor den Karren irgendwelcher Interessen spannen lassen – mögen sie noch so hehr und gut sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Von: Daniel Frick