Politiker, Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen bräuchten im Rahmen des Nahostkonflikts mehr Bezug zur Realität und zur Mentalität der Menschen im Nahen Osten. Das Scheitern einer Einigung im Nahostkonflikt liege laut dem in Jerusalem lebenden Journalisten Gerloff an den „vollkommen überzogenen und unrealistischen Erwartungen, auch von westlichen Ländern“. Religion spiele in der Region eine stärkere Rolle als im säkularen Europa, „das auf dem Rückzug ist“. Gerloff sagte: „Wir programmieren unsere Enttäuschung vor, wenn wir davon ausgehen, dass Araber und Muslime wie wir ticken.“ Der Westen solle erkennen: „Die Gesellschafts- und Regierungsform, die wir als ‚Demokratie‘ propagieren, ist in keinem arabischen Land auch nur als entfernte Option am Horizont erkennbar.“
Gerloff sagte bei seinem Vortrag zum Thema „Naher Osten im Umbruch – Israel und die arabische Welt“: „Wir sind Zeitzeugen eines Umsturzes. Wohin der arabische Frühling führen wird, weiß keiner.“ Israel reagiere auf den „arabischen Frühling“, indem es sich abschotte, Grenzanlagen auf den Golanhöhen und im Sinai baue. Bei Raketenangriffen zeige das Land, dass es sich zu verteidigen wisse. Israel müsse jedoch mit seinen Nachbarn leben, Abschotten sei auf Dauer keine Lösung.
Der Korrespondent sprach auch über die Rolle Israels im „arabischen Frühling“. „Politisch gesehen ist Israel im arabischen Frühling schlicht irrelevant. Der arabische Frühling hat aber selbstverständlich eine hohe Relevanz für die Zukunft Israels.“ Gerloff hob hervor: „Lokal sind wir in Israel ganz nah dran am arabischen Frühling und gleichzeitig aber fast so weit davon entfernt wie Europa.“ Viele Israelis seien froh, dass es nie zum Frieden mit Syrien nie gekommen sei. Arabische Christen in Israel machten sich Gedanken über ihre Zukunft und träten in die Armee ein.
Der „arabische Frühling“ habe „deutlich gezeigt, dass der gesamte arabische Raum, vom Maghreb am Atlantik im Westen bis ins Zweistromland, von der Zentral-Sahara bis hinauf an die Kurdengebiete, ein zusammenhängender Kulturraum“ sei. Was ein Mensch in Tunesien twittere, gehe die Menschen in Syrien an. Dieser Kulturraum sei viel größer als Europa. Durch die Komplexität der Konflikte im Nahen Osten, sei oft nicht mehr zu erkennen, wer gegen wen kämpft. Am stabilsten erschienen Gerloff die „Monarchien, die eine westliche Orientierung mit einer religiösen Legitimierung ihres Machtanspruchs verbinden“. So leiteten etwa König Abdullah II. von Jordanien und König Mohammed VI. von Marokko ihre Herkunft direkt vom Propheten Mohammed ab.