Islamwissenschaftler: „Kein Stellvertreterkrieg führen“



Der junge deutsche Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza setzt sich für ein friedliches Zusammenleben der Weltreligionen ein. Mit seiner eher liberalen Haltung eckt er vor allem bei den Extremisten an. Im Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" erklärt der 30-Jährige, wie es aus seiner Sicht trotzdem einen Ausgleich der Interessen geben kann.


Von PRO

Intensivieren möchte er vor allem den Dialog zwischen den Religionen – und hier vor allem zwischen Juden und Moslems. Bei vielen jungen Menschen herrsche große gegenseitige Neugier: "Wir kennen uns gegenseitig nur über Zuschreibungen und Feindbilder, die Dritte transportieren", bemängelt er. Ein Dialog könne vor allem Distanz und Skepsis abbauen, sagt der Sohn eines pakistanischen Vaters und einer deutschen Mutter. Muslime und Juden dürften sich in Deutschland nicht in einen Stellvertreterkrieg drängen lassen, so Murtaza, der sich wegen seiner Äußerungen heftigen Anfeindungen ausgesetzt sah.



Der Wissenschaftler betont, dass die Schriften des Koran in der Vergangenheit immer zeitgemäß interpretiert und an die jeweiligen Lebensumstände angepasst wurden. Erst mit dem Aufkommen des Wahabismus, einer konservativen und dogmatischen Richtung des Islam, habe sich diese Tendenz verschoben: "Wenn jemand wortwörtlich nach den heiligen Texten leben möchte, aber zugleich andere Lebensentwürfe und Ansätze respektiert, habe ich damit kein Problem. Aber wenn es sich zu einem Absolutheitsanspruch steigert, der jeden Pluralismus verneint und zu Gewalt übergeht, müssen wir einschreiten und klar die Grenzen aufzeigen", fordert Murtaza.



Die elitären Wahabiten



Die Verletzung und Tötung anderer Menschen bedeute einen Tabubruch. Ihn mache es fassungslos, wie leicht diese Grenze mittlerweile überschritten werden könne: "Der Wahabismus erhebt seine Gefolgsleute in den elitären Stand, die einzig wahren Muslime zu sein, die durch ihr Tun direkt ins Paradies eingehen werden." Empfänglich dafür seien vor allem diejenigen, die in ihren Gesellschaften keinen Erfolg hätten.



Dem Denken der Wahhabiten liege die Vorstellung zugrunde, den Islam reinigen zu müssen: "Und das gehe nicht durch Reden, dazu brauche es Gewalt." Diese Interpretation seien nicht gesund für den Islam und führten zu unerträglich viel Leid. Führende islamische Gelehrte müssten deswegen immer wieder mutig extremistischen Strömungen – wie in der Vergangenheit auch – entgegentreten. Die große theologische Herausforderung bestehe darin, einen Gegenentwurf auf hohem intellektuellem Niveau zu erarbeiten, "der die Menschen überzeugen und erreichen kann", bilanziert Murtaza, der Autor des viel beachteten Aufsatzes "Jenseits von Eden" sowie Mitarbeiter der Stiftung "Weltethos" ist. (pro)

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen